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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12
Autoren: Valentin Senger
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bekannten Bäcker, und an den Metzger Stephan Weiß, der gerade zur rechten Zeit, als nämlich das Luftschiff »Graf Zeppelin« zum ersten Mal in Frankfurt landete, eine neue Wurstmischung zusammenstellte, sie in einen meterlangen, drei Zoll dicken Darm preßte, die Riesenwurst der Luftschiffbesatzung schenkte und damit die Erlaubnis erhielt, diese Wurstsorte »Zeppelinwurst« zu nennen. Er dürfte bis heute viele Kilometer davon verkauft haben.
     
    Zurück zur Kaiserhofstraße. So kurz sie auch war, schien sie dennoch eine vornehme Straße gewesen zu sein. Leider konnte ich unsere Familie nicht in diese Vornehmheit mit einbeziehen, denn wir wohnten im Hinterhaus, und Papa war Arbeiter. Auf jeden Fall aber war unsere Straße vornehmer als die beiden Parallelstraßen links und rechts von uns, die Meisengasse und die Kleine Hochstraße, die etwa gleichlang waren.
    Die aus der Gründerzeit stammenden Häuser unserer Straße hatten größtenteils imposante, gut erhaltene und gepflegte Fassaden mit Balustraden, Fenstereinfassungen und anderen ornamentalen Verkleidungen aus rotem Sandstein, hinter denen Angestellte, städtische Beamte, Handwerker und Geschäftsleute wohnten. Sogar mehrere Lebensmittelladenbesitzer aus der Freßgasse zählten zu unseren Mitbewohnern.
    Nicht weniger stolz konnten wir aus der Kaiserhofstraße auf den exklusiven Fechtclub »Hermannia« sein, dem die damals weltberühmte jüdische Fechterin Helene Mayer angehörte. Er war im Haus Nummer 11 untergebracht, und wenn die Fechtmeisterin wieder einmal mit neuem Sportlerruhm nach Hause kam, gab es jedesmal einen festlichen Empfang für sie, an dem die ganze Straße teilnahm. Nach 1933 zog
die
»Hermannia« aus und überließ das Haus der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude«. Zehn Jahre später war es das erste Haus unserer Straße, das ausgebombt wurde.
    Auch die studentische Burschenschaft »Rhenania« hielt unsere Straße für würdig genug, um im Haus Nummer 19 Quartier zu beziehen und dort einen Paukboden einzurichten, wo auch richtige Mensuren geschlagen wurden. Dieses Haus hatte an der Straßenfront, in einer Nische eingelassen, eine große, nicht zu übersehende griechische Statue aus Sandstein. Wenn ich mich an der Fensterbank hochzog und auf die Kante des eisernen Kellerlochdeckels stellte, konnte ich die sich schlagenden und blutenden Studenten sehen.
    Das Besondere unserer Straße aber war, daß dort einige Maler und Schauspieler wohnten, vor allem Sänger aus dem Ensemble des nahen Opernhauses. Durch sie erhielt die Straße etwas Weltoffenes, vielleicht sogar Frivoles. Dies wurde noch betont durch zwei exklusive Weinlokale, die nur am Abend und in der Nacht geöffnet waren und hinter deren gläsernen Eingangstüren schwere rote Plüschvorhänge die Sicht ins Innere verwehrten. Das eine war zeitweise ein stadtbekanntes Schwulenlokal.
    Trotzdem war die Kaiserhofstraße eine gesellschaftsfähige, vom Kleinbürgertum und dem Mittelstand durchaus bewohnbare Straße.
    Auch die zwei Nutten aus Nummer 4, eine andere wohnte später sogar in unserem Haus, konnten dem Ansehen unserer Straße nichts anhaben, sie wohnten ja nur dort und bezahlten pünktlich die Miete. Auf den Strich gingen die beiden zwischen Goethestraße und Hauptwache, im seriösen Steinweg, oder gleich in der Kleinen Bockenheimer Straße, wo sie zwei Häuser neben der Roten Katze ihre Absteige hatten. Es stimmt, daß sie sich jeden Tag beim Friseur Jung in Nummer 2 die Haare machen ließen, so viel Geld hatten sie. Für den ansonsten braven Friseur war das nichts Anrüchiges. Da die beiden gesundheitsbehördlich überwachten Damen weder ihn noch seine Gesellen zu verführen trachteten und da auch die Friseurmeistersgattin keine Bedenken hatte - was sollte es?
    Von den beiden Damen mit den Wackelpopos profitierte ich insofern, als mir meine eineinhalb Jahre ältere Schwester Paula an ihnen zeigen konnte, woran man todsicher Nutten erkennt: daß sie nämlich auffallend starke Strumpfnähte haben, viel stärkere als bei anderen Frauen, und sich damit den Männern bemerkbar machen. Paula mußte es wissen, sie war bereits sieben Jahre alt und schon sehr klug. Seit der Zeit wußte ich Bescheid, mir konnte niemand mehr etwas vormachen. Von da an entlarvte ich aufgrund dieser Intimkenntnisse unheimlich viele Nutten, die sich in der Menge des Freßgassenpublikums ganz harmlos gaben, so als wäre überhaupt nichts mit ihnen, und die sich durch nichts anderes verrieten als durch ihre
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