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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12
Autoren: Valentin Senger
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er war Detektiv, sie war Astrologin. Beide hatten ihren Arbeitsplatz in der gleichen Dreizimmerwohnung. So konnte sich die Klientel frei entscheiden, ob sie sich im vorderen Zimmer etwas auskundschaften oder im Hinterzimmer, bei etwas ungünstigeren Licht-, aber entsprechend günstigeren Honorarverhältnissen und möglicherweise gleichen Erfolgschancen, aus den Sternen weissagen lassen wollte. Ich kann mir vorstellen, daß sich beider Arbeitsbereiche hervorragend ergänzten.
    Ein einziges Mal nur versagte die Astrologin Kummernuß, als der Detektiv Kummernuß eines Tages über seine reichlich unkonventionellen Arbeitsmethoden stolperte, zu denen Aktendiebstahl, Versicherungsbetrug, Beamtenbestechung und in einem Fall sogar Brandstiftung gehörten; da konnte die Astrologin leider nicht beizeiten aus der Konstellation der Sterne voraussagen, daß der berufliche Übereifer des Detektivs im Gefängnis enden werde.
    Im gleichen Haus im Mansardenstock wohnte noch der Bäckergeselle Peter Weckesser. Er war aktiver Kommunist, ich glaube Stadtteilkassierer, und mit Mama in der gleichen Straßenzelle der KPD. Er wußte einiges von Papas illegaler Zeit und von unserer jüdischen Herkunft, ahnte aber nichts von Mamas verzweifeltem Bemühen, unsere Vergangenheit unsichtbar zu machen. Auch nach dem Parteiverbot brachte er meiner Mutter noch regelmäßig illegale Flugschriften. Bereits im Sommer 1933 wurde er verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. 1937 - er war nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus in einen anderen Stadtteil gezogen - begegnete ich ihm auf der Straße. Er fragte mich, ob unserer Familie nach seiner damaligen Verhaftung nichts passiert sei. Er erzählte mir, Geheimpolizisten hätten ihn vor seiner Festnahme längere Zeit überwacht, und viele Parteifreunde, die er in diesen Wochen aufgesucht habe, seien ebenfalls verhaftet worden. Außerdem sei im Bericht eines Polizeispitzels, der während des Prozesses verlesen wurde, auch der Name meiner Mutter erwähnt gewesen. Er war höchst erstaunt, als ich ihm sagte, daß es bei uns nicht einmal eine Haussuchung gegeben habe.
    Ich erwähne diese Episode eigentlich nur, weil es eine der ersten gefährlichen Situationen während der Hitlerzeit war, in die wir geraten waren und von denen jede das Schicksal unserer Familie hätte besiegeln können.
     
    In Nummer 14 wohnte ein richtiger Weltmeister. Er hieß Walter Lütgehetmann und hatte sich seinen Titel im Billardspielen, und zwar in Cadre 47/2, was immer das heißen mag, verdient. Mehr ist über ihn nicht zu sagen, denn er war für einen Weltmeister auffallend unauffällig, und man sah ihn nur selten, denn er mußte ja, um in Form zu bleiben, den ganzen Tag in seinem Billardkasino hinter dem Säuplätzchen an der Freßgasse üben.
    Im gleichen Haus wohnte einer in Untermiete im Mansardenstock, der Klauer hieß und auch einer war und deswegen einmal für ein ganzes Jahr in die Strafanstalt Preungesheim umziehen mußte. Er hatte das Pech, bei einem Kellereinbruch geschnappt zu werden, als er sich mit dem Eingemachten fremder Leute versorgen wollte. Zu seiner Entlastung ist zu sagen - was kein Staatsanwalt beim Strafantrag und kein Richter bei der Strafbemessung berücksichtigte -, daß er zum Zeitpunkt seiner Straftat bereits zwei Jahre stempeln ging, von zwölf Mark Arbeitslosenunterstützung in der Woche leben mußte und von dem wenigen, was er hatte, regelmäßig noch ein bis zwei Mark für seine Mutter abzweigte, obwohl diese, als sie noch auf den Strich ging, sich nie um ihn gekümmert und ihn in einer Erziehungsanstalt seinem Schicksal überlassen hatte. Jetzt lebte sie in einem Siechenhaus und bekam keinen Pfennig Taschengeld.
    Klauer war ein Genie im Basteln von Radiogeräten. Eines Tages baute er auch eines für unsere Familie, mit dem man sogar ausländische Sender empfangen konnte. Er wollte keinen Pfennig dafür haben. »Ihr habt ja auch nicht mehr als ich«, sagte er nur. Noch zehn Jahre später, im Zweiten Weltkrieg, hörten wir mit diesem selbstgebastelten Gerät heimlich Radio Moskau und Radio London.
     
    Eingraviert in ein blinkendes Messingschild machte Joseph Walcker in Nummer 18 darauf aufmerksam, daß er »Hühneraugenoperateur« mit »Behandlung nach vorheriger Anmeldung« sei. Ich hatte schon ein paarmal mit großer Neugierde zugeschaut, wie die junge Frau Schwab in unserem Hinterhaus ihrem dicken, ewig nörgelnden Mann, während ich mit ihrem Stiefsohn »Sechsundsechzig« spielte, die
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