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Just Listen - Roman

Just Listen - Roman

Titel: Just Listen - Roman
Autoren: Sarah Dessen
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vollkommen klar, was ich im Begriff stand zu tun.
Bist du im Prinzip so weit?,
hatte sie mich vorhin gefragt. In dem Moment war ich es noch nicht gewesen. Würde es vielleicht auch nie sein. Dennoch führte jetzt kein Weg mehr daran vorbei. Und als ich mich nun innerlich darauf vorbereitete, noch einmal meine Geschichte zu erzählen, tat ich das, was Owen so oft für mich getan hatte: Ich streckte die Hand aus, meiner Mutter, meiner Familie entgegen. Hielt sie fest, zog sie mit mir. Hindurch.

Kapitel 19
    Im Gerichtssaal sah ich Will Cash zunächst immer nur von hinten und ganz kurz. Seinen Hinterkopf, seinen Arm im Anzug, ein rascher Blick aufs Profil, alles nur flüchtige Eindrücke. Im ersten Moment war das irgendwie frustrierend, machte mich noch nervöser als ohnehin schon. Doch je näher der Zeitpunkt rückte, an dem ich in den Zeugenstand gerufen werden sollte, umso mehr gab ich mich damit zufrieden. Fand es am Ende eigentlich sogar besser. Teilstücke, Fragmente waren immer einfacher zu verarbeiten. Das Bild in seiner Gesamtheit zu sehen
und
auszuhalten, war etwas völlig anderes. Trotzdem, man konnte nie wissen. Manchmal überraschten einen die Menschen tatsächlich.
    Es meiner Familie zu erzählen, war am Ende doch erheblich schwieriger als bei Owen. Aber ich hatte es geschafft, auch durch die heikelsten Passagen hindurch, als meine Mutter die Luft anhielt, mein Vater die Lippen aufeinanderpresste, Kirsten neben mir zu zittern begann. Trotzdem fuhr ich fort, den Blick fest auf Whitney gerichtet, die nicht ein einziges Mal zusammenzuckte. Sie war von uns allen die Stärkste. Deshalb ließ ich sie bis zum Schluss nicht aus den Augen.
    Meine Mutter überraschte mich tatsächlich. Sie brachweder zusammen, noch implodierte sie, obwohl es für sie mit Sicherheit unerträglich war, mit anzuhören, was ich durchgemacht hatte. Hinterher, als Kirsten vor sich hin schluchzte und Whitney meinem Vater half, Andrea Thomlinsons Visitenkarte in meinem Zimmer zu finden, weil er sie wegen genauerer Informationen anrufen wollte, saß meine Mutter still neben mir, hatte den Arm um meine Schulter gelegt und streichelte sanft über mein Haar, immer und immer wieder.
    An diesem Morgen, auf der Fahrt zum Gericht, saß ich zwischen meinen Schwestern auf dem Rücksitz und beobachtete meine Eltern von hinten. Ab und zu bewegte sich die Schulter meiner Mutter und ich wusste, jetzt streckte sie die Hand aus, um die meines Vaters beruhigend zu tätscheln. Ganz so, wie er es während einer anderen, gemeinsamen Autofahrt bei ihr getan hatte, an einem anderen Tag, als langsam ein anderes Geheimnis ans Tageslicht gekommen war. Was noch gar nicht so lange her war.
    Mir fiel auf, dass ich meine Eltern mein ganzes Leben lang immer nur auf
eine
Art betrachtet hatte. Als könnten sie auch nur
so
sein: die eine schwach, der andere stark. Die eine verunsichert und verängstigt, der andere zupackend und unerschrocken. Doch allmählich begann ich zu begreifen, dass es so etwas wie absolut nur das eine
oder
das andere weder im Leben noch bei Menschen gibt. Wie hatte Owen es einmal ausgedrückt: Man konnte es nur Tag für Tag angehen, vielleicht sogar bloß Moment für Moment. Konnte nichts anderes tun, als so viel Gewicht zu schultern, wie man eben tragen konnte. Und wenn man Glück hatte, war zufällig wer in der Nähe, der den Rest übernahm.
    Gegen Viertel vor neun liefen wir auf das Gerichtsgebäudezu. Ich musterte die Leute, die um den Brunnen herum standen, suchte Owen mit den Augen. Er war nicht da. Nicht in jenem Moment und auch nicht, nachdem meine Mutter und ich uns mit Andrea Thomlinson in einem Büro in der Nähe zusammengesetzt hatten, um meine Aussage noch einmal durchzugehen. Er tauchte nicht einmal auf, als sich die Türen zum Gerichtssaal öffneten, wir im Gänsemarsch hineingingen und in der Reihe gleich neben Emily und ihrer Mutter unsere Plätze einnahmen. Ich hielt weiter nach ihm Ausschau, dachte, er würde vielleicht in letzter Minute hereinschlüpfen, gerade noch rechtzeitig. Aber er kam nicht. Was ihm überhaupt nicht ähnlich sah. Ich fing an, mir Sorgen zu machen.
    Nach anderthalb Stunden wurde ich vom Staatsanwalt als Zeugin aufgerufen. Ich stand auf, ging an meinen Schwestern vorbei zum Ende der Reihe, wobei meine Handflächen über die Lehne der Bank vor uns strichen, vielmehr glitschten   – so sehr schwitzten sie. Ich trat auf den Mittelgang hinaus. Und war auf mich allein gestellt.
    Während ich nach vorne ging,
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