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Just Kids

Titel: Just Kids
Autoren: Patti Smith
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und das Singen fiel mir zunehmend schwerer. Ich hätte längst im Studio sein müssen, als Robert mich anrief und mir erschüttert mitteilte, dass Andy Warhol tot war.
    »Er durfte nicht einfach sterben«, brach es verzweifelt aus ihm heraus, beinahe bockig, wie bei einem verzogenen Kind. Aber ich hörte auch andere Gedanken zwischen uns hin- und herjagen.
    Du auch nicht.
    Ich auch nicht.
    Wir sprachen es nicht aus und legten widerstrebend auf.
    Es schneite, als ich an einem Friedhof mit einem schmiedeeisernen Tor vorbeikam. Ich merkte, dass ich im Takt meiner Schritte betete. Ich eilte weiter. Es war ein wunderschöner Abend. Die wenigen Flocken, die anfangs gefallen waren, waren nun zu einem wahren Schneegestöber geworden. Ich wickelte mich fester in meinen Mantel ein. Ich war im fünften Monat, und das Baby bewegte sich in mir.
    Im Studio war es warm und behaglich. Richard Sohl, mein liebster Pianist, stand auf, um mir Kaffee zu machen. Die Musiker fanden sich ein. Es war unser letzter gemeinsamer Abend in New York, bevor das Kind zur Welt kam. Fred sprach ein paar Worte zum Tod von Andy Warhol. Wir nahmen Up There Down There auf. Während der Performance stand mir die ganze Zeit das Bild vom Trompetenschwan, des Schwans meiner Kindheit, vor Augen.
    Ich huschte hinaus in die Nacht. Es hatte aufgehört zu schneien, und nun war es, als sei über die ganze Stadt zum Gedenken an Andy eine unberührte Schneedecke gebreitet – weiß und vergänglich wie Warhols Haar.

    Wir sahen uns alle in Los Angeles wieder. Robert, der dort seinen jüngsten Bruder Edward besuchte, hatte sich entschieden, die Fotos für das Plattencover in L. A. zu machen, während Fred und ich mit unserem Co-Produzenten Jimmy Iovine letzte Hand an unser Album legten.
    Robert war blass und baute mit zitternden Händen alles auf, um uns vor einer Gruppe vertrocknender Palmen in der prallen Sonne zu fotografieren. Er ließ den Belichtungsmesser fallen, und Edward bückte sich und hob ihn auf. Robert ging es nicht gut, doch irgendwie nahm er sich zusammen, um das Foto zu schießen. Dieser Moment vereinte unser Vertrauen, unser Mitgefühl und den Sinn für Ironie, den wir beide teilten. Er trug den Tod in sich, und ich trug Leben in mir. Ich weiß, dass wir uns beide dessen bewusst waren.

    Es war ein ganz schlichtes Foto. Ich trage das Haar geflochten wie Frida Kahlo. Die Sonne scheint mir in die Augen. Ich sehe Robert an, und er ist am Leben.
    Später am Abend war Robert dabei, als wir das Schlaflied aufnahmen, das Fred und ich für unseren Sohn Jackson geschrieben hatten, der Song, den ich Sam Wagstaff vorgesungen hatte. In der zweiten Strophe gab es einen Wink an Robert: Little blue star that offers light. Robert saß auf einem Sofa im Regieraum. Ich werde das Datum nie vergessen. Es war der neunzehnte März, der Geburtstag meiner Mutter.
    Richard Sohl saß am Klavier. Ich stand ihm gegenüber. Wir nahmen das Stück live auf. Das Baby bewegte sich in mir. Richard fragte Fred, ob er irgendwelche speziellen Anweisungen hätte. »Bring sie zum Weinen, Richard«, war alles, was er sagte. Es gab einen Fehlstart, und wir legten dann alles, was wir hatten, in den zweiten Take. Nachdem ich durch war, wiederholte Richard die letzten Akkorde. Ich sah durch die Scheibe in den Regieraum. Robert war auf dem Sofa eingeschlafen, und Fred stand allein da und weinte.

    Am 27. Juni 1987 kam unsere Tochter Jesse Paris Smith in Detroit zur Welt. Ein Doppelregenbogen erschien am Himmel, und ich war guten Mutes. An Allerseelen packten wir unser Auto. Wir wollten unser Album fertigstellen, dessen Veröffentlichung wir verschoben hatten, und fuhren mit unseren beiden Kindern nach New York. Während der langen Fahrt dachte ich an Robert und stellte mir vor, wie er meine Tochter in den Armen hielte.
    Robert feierte seinen einundvierzigsten Geburtstag in seinemLoft in der Twenty-third Street mit Champagner, Kaviar und weißen Orchideen. Am selben Morgen hatte ich am Schreibtisch im Mayflower Hotel gesessen und den Song Wild Leaves für ihn geschrieben, den ich ihm dann doch nicht schenkte. Ich hatte versucht, ihm unsterbliche Verse zu schreiben, doch nun erschienen sie mir nur allzu vergänglich.
    Ein paar Tage später fotografierte Robert mich in Freds Fliegerjacke für das Cover unserer geplanten Single People Have the Power. Als Fred die Aufnahme sah, meinte er: »Ich weiß nicht, wie er es anstellt, aber in allen Fotos, die er von dir macht, sehe ich ihn.«
    Robert konnte
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