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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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lebhaft gefärbte Wendungen gebrauchen, wie jene, die ihr in eueren Theaterstücken und Romanen bewundert? Nein; die Leidenschaft, voll von sich selbst, drückt sich mehr mit Ueberfluß als mit Kraft aus; sie geht gar nicht darauf aus, zu überzeugen; es fällt ihr nicht von Weitem ein, daß man an ihr zweifeln könne. Wenn sie ihrem Gefühle Worte giebt, so geschieht das weniger, um es den Anderen zur Schau zu stellen, als um sich Lust zu machen. Man versteht es in den Palästen, die Liebe feuriger zu schildern: empfindet man sie deshalb dort mehr als in den Hütten?
    N. Also zeugt eine schwache Sprache für die Stärke des Gefühls.
    R. Wenigstens zuweilen für die Wahrheit desselben. Lesen Sie einen Liebesbrief, den ein Schriftsteller, ein Schöngeist, der glänzen will, in seinem Cabinet verfertigt hat, so wird, wenn der Mann nur Feuer besitzt, seine Feder, wie man zu sagen pflegt, in Flammenzügen schreiben; die Erwärmung wird aber nicht weiter reichen: Sie werden bezaubert sein, vielleicht bewegt; letzteres aber nicht nachhaltig und erquickend, Sie werden nichts davon zurückbehalten, als Worte. Ein Brief dagegen, den die Liebe wirklich eingegeben hat, ein Brief eines im Ernste leidenschaftlich Liebenden wird marklos, zerfahren, unordentlich, voller Weitschweifigkeiten und Wiederholungen sein. Sein Herz, das von Gefühlen überströmt, sagt immer wieder das Nämliche und kann nicht aufhören es zu wiederholen, wie eine lebendige Quelle, die ohne Ende sprudelt und sich nie erschöpft. Nichts, was überrascht, nichts, was des Merkens werth ist: man behält kein Wort, kein Bild, keine Wendung im Gedächtniß; man findet nichts zu bewundern und zu preisen. Aber man fühlt sich das Herz im Busen gerührt, man fühlt sich im Innersten bewegt und weiß nicht warum. Ohne uns durch seine Stärke zu überraschen, hat uns das Gefühl durch seine Wahrheit ergriffen; so weiß das Herz zum Herzen zu sprechen. Aber Die, welche kein Gefühl haben, welche nichts kennen als die künstlich aufgeputzte Sprache der Leidenschaft, haben keine Ahnung von Schönheiten dieser Art, die sie nur mit Verachtung ansehen.
    N. Weiter!
    R. Wohl! Wenn in Briefen der erwähnten Gattung die Gedanken immerhin gewöhnlich sind, ist doch die Sprache nicht die des gemeinen Lebens und kann es nicht sein. Das Wesen der Liebe ist Täuschung; sie schafft sich, sozusagen, eine andere Welt; sie zaubert Gegenstände um sich her, die nicht wirklich sind, denen nur sie allein Dasein giebt, und da sie alle ihre Empfindungen in Bilder faßt, ist ihre Sprache immer bildlich. Aber was sie bildert, ist unbestimmt und ohne Zusammenhang; sie ist gerade in ihrer Verwirrung beredt; sie beweist desto mehr, je weniger sie folgert. Der höchste Grad der Leidenschaft ist Schwärmerei. Wenn sie ihren Gipfel erreicht, so sieht sie in ihrem Gegenstand ein Bild der Vollkommenheit; sie macht ihn nun zu ihrem Abgott, hebt ihn in den Himmel; und wie die fromme Schwärmerei die Sprache der Liebe entlehnt, so entlehnt die Liebesschwärmerei die Sprache der frommen Andacht. Sie hat nichts mehr vor Augen als das Paradies, die Engel, die Tugenden der Heiligen, die Freuden des himmlischen Aufenthaltes. Kann sie in dieser Verzückung, in diesem Anschauen erhabener Bilder sich niederer Ausdrücke bedienen, um sich kund zu geben? Wird es ihr möglich sein, ihre hohen Gedanken durch alltägliche Redensarten herabzuwürdigen und zu entweihen? Wird sie nicht ihrer Sprache einen höheren Schwung, nicht Adel, nicht Würde geben? Was reden Sie von Briefen, von Briefstyl! Darum handelt es sich auch, wenn man an ein geliebtes Wesen schreibt! Nein, was man da schreibt, sind nicht Briefe, Hymnen sind es.
    N. Bürger, lassen Sie mich Ihren Puls fühlen!
    R. Nicht doch, sehen Sie den Winterschnee auf meinem Haupte! Es giebt Jahre der Erfahrung, Jahre der Erinnerung. Die Empfindung erlischt endlich einmal, aber eine gefühlvolle Seele bleibt ewig.
    Ich komme auf unsere Briefe zurück. Wenn Sie sie als das Werk eines Schriftstellers lesen, der gefallen will oder sich mit seiner Schreibart zeigen, so sind sie abscheulich. Aber nehmen Sie sie als das, was sie sind, und beurtheilen Sie sie in ihrer Art! Zwei, drei einfache, aber gefühlvolle junge Leute unterhalten sich unter sich von ihren Herzensangelegenheiten; sie denken nicht daran, vor einander glänzen zu wollen. Sie kennen und lieben einander zu sehr, als daß dieEigenliebe unter ihnen noch Spielraum fände. Sie sind Ausländer: werden sie
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