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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Autoren: Paul Moor
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habe ich sämtliche Briefe ungekürzt und ungeändert eingespeichert; ein vollständiger Satz Disketten – einschließlich der dreiundzwanzig Kapitel eines «Büchleins», das Jürgen Bartsch in den letzten Monaten vor seinem Tode schrieb – steht zukünftigen Forschern im Berliner Psychoanalytischen Institut, inder Abteilung für Sexualwissenschaft des Klinikums der Universität Frankfurt am Main und im Hamburger Institut für Sexualforschung zur Verfügung. Viel faszinierendes, wissenschaftlich sehr wichtiges Material, das ich im vorliegenden Buch aus Platzmangel nicht ausbreiten konnte, findet sich in meinem 1972 erschienenen Taschenbuch «Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch».
    Durch meine Beschäftigung mit Jürgen bin ich um einige neue Freunde reicher geworden. Dazu gehörte von Anfang an der hervorragende Psychoanalytiker Tobias Brocher. Margret Suhr-Effing, die Ärztin, die Jürgen wöchentlich in seiner Gefängniszelle neun Monate lang psychotherapeutisch behandelte, habe ich wegen ihres Mutes besonders bewundert. Mit dem Ärzte-Ehepaar Suhr verband mich, solange die beiden lebten, eine enge Freundschaft; heute fehlen sie mir sehr. Bei dem bald nach dem Revisionsprozeß nach Berlin umgezogenen Ehepaar Rasch habe ich an mehreren Abenden Gastfreundschaft genießen dürfen; unsere Gespräche konzentrierten sich auf die verschiedensten Aspekte von Jürgens Persönlichkeit. Herr Rasch hat mir bei der Vorbereitung meines Taschenbuchs wie kein anderer geholfen. Dietrich Wilke, den ich als jungen Sozialarbeiter des Jugendamts während des ersten Prozesses kennengelernt und beim Revisionsverfahren wiedergesehen habe, ist bis heute ein hilfreicher und zuverlässiger Freund geblieben. Christiane Detje vom Rowohlt Verlag hat mir mehrmals mit Recherchen in Deutschland geholfen, die für mich aus San Francisco, wo ich seit 1982 wohne, unmöglich gewesen wären. Und Hermann Gieselbusch kann ich für seine Unterstützung, seinen Beistand und für seine unentbehrliche Hilfe kaum genug danken; nach seiner redaktionellen Bearbeitung lesen sich meine Texte sogar so, als ob ich tatsächlich anständiges Deutsch schreiben könnte.
    Zur Vorbereitung dieses Buches habe ich sämtliche Briefe, Postkarten und sonstige Schriftzeugnisse von Jürgen Bartsch – es sind Hunderte – mit meinem Computer buchstabengetreu erfaßt und alle Dokumente chronologisch geordnet. Kompletthätte die Textmenge ein doppelt so umfangreiches Buch ergeben. Also habe ich eine Auswahl treffen müssen und manche Briefe nur auszugsweise wiedergeben können. Bedenkt man, wie bildungsfern Jürgen aufgewachsen ist, so wird man über seine Begabung für differenzierten sprachlichen Ausdruck nur staunen. Sogar seine Orthographie und Interpunktion waren beachtlich sicher. Die wenigen, psychologisch belanglosen Kleinigkeiten wie die Verwechslung von «das» und «daß» oder von «bez. W.» mit «bzw.» habe ich in den meisten Fällen stillschweigend korrigiert, weil sie den Leser eventuell irritieren und vom Inhalt des Geschriebenen ablenken könnten. Denn wie leicht sind wir alle geneigt, von bloß formalen Patzern auf gewichtige innere Mängel des Schreibenden zu schließen.
    Aus unzähligen Mosaiksteinchen entsteht hier ein in der ganzen Weltliteratur einmaliges Selbstbildnis eines jungen Menschen, dem (in den prägnanten Worten von Gerhard Mauz) «überlebenden, verzweifelten Opfer von vier Kindern, die ihm zum Opfer fielen».

2  Untermalung zu einem Selbstbildnis
    Das im Kern unzerstört erhaltene Städtchen Langenberg liegt in der Nähe von Essen. In diesem Industrierevier nimmt sich Langenberg – im Deilbachtal, umgeben von Wiesen, Weiden, Bach und Wald – idyllisch aus: eine heile Welt. Auf der Heeger Straße kann man an einem alten Luftschutzbunker vorbeigehen, ohne es überhaupt zu merken: Vor Jahren hat man den Eingang zum Stollen betoniert. Heute weiß nur der Kenner, daß vier der scheußlichsten, grausamsten Morde der Kriminalgeschichte zwischen 1962 und 1966 in diesem Bunker begangen worden sind. Nicht weit von hier steht an der Heeger Straße ein Schild: «Zehn Minuten Fußweg zur Gaststätte Haus Senderblick». An dieser Stelle mündet ein steiler Fußweg, den Jürgen Bartsch nachts immer nehmen mußte, wenn er aus seinem Elternhaus oben am Hang hinunter zum Tatort schlich.
    Die Langenberger Polizei hat Jürgen Bartsch am 21.   Juni 1966 verhaftet. Am 29.   November 1967 fing sein erster Prozeß in Wuppertal an; fünf Tage später, am
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