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Judaswiege: Thriller

Judaswiege: Thriller

Titel: Judaswiege: Thriller
Autoren: Ben Berkeley
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eine unwiderstehliche Mischung. »Der Winkeladvokat« nannte man ihn an den Eliteuniversitäten – nicht despektierlich sondern bewundernd. Denn kein Strafverteidiger hatte eine ähnlich beeindruckende Bilanz wie Thibault Godfrey Stein aufzuweisen, der kaum 1 Meter 65 große, weißhaarige Mann mit dem aschgrauen Gesicht, dessen Nase – wie Pia Lindt zum wiederholten Male feststellte – aussah wie eine verdorrte Ingwerwurzel.
    Stein hatte einen Footballstar rausgepaukt, der seine Ehefrau erschlagen hatte – oder doch nicht? Er hatte einen Kolumbianer verteidigt, in dessen Auto fünfzig Kilogramm Kokain gefunden worden waren – aber war es tatsächlich sein Wagen? Für Stein begann Schuld erst beim Urteilsspruch, und § 10 seiner Prozessordnung besagte: »Wenn du nicht gewinnen kannst, verlier wenigstens nicht.« Pia war gespannt, wie er das heute anstellen wollte, denn der Fall lag glasklar auf der Hand, und die Beweise gegen ihren Mandanten schienen geradezu erdrückend.
    Soeben beendigte die Anklage die Vernehmung ihres wichtigsten Zeugen, des Detectivs der Mordkommission, der ihren Fall bearbeitet hatte. Es war gut gelaufen für den Staatsanwalt, kein Geschworener, der seine fünf Sinne beisammen hatte, konnte an seinen präzisen Ausführungen zweifeln. Jetzt lag es an Stein. Der Staatsanwalt schritt zu seinem Platz, die Absätze seiner teuren italienischen Schuhe knallten auf den hundert Jahre alten Steinfliesen des Gerichtssaals. Schwungvoll ließ er sich in den Stuhl fallen und reckte siegessicher den Hals.
    »Ihr Zeuge, Herr Verteidiger«, skandierte der Richter.
    Pia blickte auf die Knollennase zu ihrer Linken. Stein hatte die Fingerspitzen ineinandergefaltet und lächelte. Er trank einen Schluck aus dem vollen Wasserglas. Nicht zu schnell, nicht zu langsam, gerade so, dass es unbeabsichtigt wirkte. Er räusperte sich: »Danke.«
    »Meine Damen und Herren Geschworenen«, begann er die Vernehmung des Zeugen, was ungewöhnlich war. »Vor Ihnen sitzt ein treuer Diener dieser Stadt, ein ehrbarer Polizist. Mr. Foudy ist ohne Frage das, was wir alle«, er ließ seinen Blick über ihre Gesichter wandern, »einen aufrichtigen Mann nennen.«
    Foudy rutschte unruhig auf dem Zeugenstuhl hin und her.
    »Ich würde ihm jederzeit das Leben meiner Kinder anvertrauen«, fuhr der kleine Mann fort. »Denn ich weiß, er wird sie mit seinem eigenen Leben beschützen. Wie jeden einzelnen Bürger der Stadt New York. Wie Sie alle«, wieder ließ er den Blick über die Geschworenenbank schweifen. »Habe ich nicht recht, Lieutenant Foudy?«
    Der Polizist nickte erstaunt, sicher fragte er sich, wann endlich die Befragung begann.
    »Aber …«, Stein blieb vor der Geschworenenbank stehen und hielt inne, »… darum geht es heute gar nicht, nicht wahr? Heute geht es nicht darum, festzustellen, dass Lieutenant Foudy ein ehrbarer Polizist ist, dem wir blind unsere Kinder anvertrauen würden. Im Grunde geht es sogar um das Gegenteil.«
    Die Geschworenen blickten sich jetzt gegenseitig Rat suchend an, offensichtlich hatte Stein sie mit seinem Vortrag verwirrt, sie waren genauso wenig wie Foudy darauf vorbereitet, mitten im Prozess eine Art Abschlussplädoyer zu hören.
    Stein ließ sich nicht beirren: »Ich will gerne zugeben, was die Staatsanwaltschaft heute Vormittag so trefflich dargelegt hat: Giorgio Canelli kam am 23. Februar um 23:05 Uhr nach Hause. Mit dem Wagen. Von einem Geschäftsessen in der Innenstadt. Er hatte einen Teller Spaghetti gegessen und ein Glas Rotwein getrunken.«
    Pia Lindt lächelte innerlich. Ein Teller Spaghetti? Laut Aussage ihres Mandanten hatte es sich um Bandnudeln mit Trüffeln aus dem Périgord gehandelt und beim Rotwein um einen sündhaft teuren Barolo, für den das Restaurant dreihundertfünfzig Dollar in Rechnung gestellt hatte. Stein versuchte, die Lebenswelt seines Mandanten in Griffnähe der Geschworenen zu rücken. Es war Pias dritter Gerichtstermin mit Stein, und er hatte sich jedes Mal für eine gänzlich andere Strategie entschieden. § 3 der Prozessordnung: Wechsele deine Taktik öfter als deine Krawatten. Pia begann zu begreifen, warum man Steins Methode nicht studieren konnte und weshalb er jede Lehrtätigkeit kategorisch ablehnte. Seine Art zu denken wäre kaum in einem Seminar vermittelbar.
    Pia wunderte sich abermals, dass er gerade sie als Assistentin ausgewählt hatte. Lag es an ihrem Aussehen? Sie hielt sich für nicht unattraktiv, aber als Model wäre sie schon vor dem
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