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John Grisham

John Grisham

Titel: John Grisham
Autoren: Das Gesettz
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kann er sich also frei in der Stadt bewegen und überall seine Bazillen verbreiten?«
    Der Polizeichef war ein geduldiger Mann, der im Laufe der Jahre viele Krisen gemeistert hatte. »Dell, wir können uns alle frei bewegen. Das steht irgendwo in unserer Verfassung.«
    »Und wenn er jemanden infiziert? Was werden Sie dann sagen?«
    »Wir haben beim Gesundheitsamt nachgefragt. Letztes Jahr sind in Mississippi dreiundsiebzig Menschen an AIDS gestorben, die Leute dort kennen sich also damit aus. AIDS ist nicht so wie eine Grippe. Man kann sich nur über Körperflüssigkeiten anstecken.«
    Stille herrschte, als Dell und die übrigen Gäste darüber nachdachten, wie viele verschiedene Flüssigkeiten der menschliche Körper produzierte. Der Polizeichef nutzte die Pause, um einen Teil seiner Pfannkuchen zu essen, und nachdem er einen Bissen hinuntergeschluckt hatte, sagte er: »Es besteht kein Grund zur Sorge. Wir haben alles unter Kontrolle. Er stört niemanden. Sitzt doch nur die meiste Zeit über auf der Veranda, zusammen mit Emporia.«
    »Ich habe gehört, dass die Leute dort sehr empört sind.«
    »Das habe ich auch gehört.«
    Im Friseurgeschäft sagte einer der Stammkunden: »Ich habe gehört, dass die Farbigen nicht gerade erfreut darüber sind, ihn bei sich zu haben. Man erzählt sich, dass sich dieser merkwürdige Junge in einem der Mietshäuser versteckt, die seinem Vater gehört haben. Die Leute sind wütend.«
    »Das kann ich ihnen nicht verdenken. Was würdest du denn machen, wenn er neben dir einziehen würde?«
    »Ich würde meine Schrotflinte holen und dafür sorgen, dass er auf seiner Seite des Zauns bleibt.«
    »Er tut doch niemandem was. Warum regen sich alle so auf?«
    »Gestern Abend habe ich einen Artikel in der Zeitung gelesen, nach dem AIDS die tödlichste Krankheit der Weltgeschichte werden wird. Millionen werden daran sterben, vor allem in Afrika, wo es offenbar jeder mit jedem treibt.«
    »Ich dachte, das wäre in Hollywood.«
    »Da auch. Kalifornien hat mehr AIDS -Kranke als jeder andere Bundesstaat.«
    »Hat sich der junge Keane nicht auch in Kalifornien angesteckt?«
    »So hab ich's gehört.«
    »Kaum zu glauben, dass wir 1989 hier in Clanton auch AIDS haben.«
    In der Geschäftsstelle des Gerichts stand eine junge Dame namens Beth bei Donuts und Kaffee im Mittelpunkt, denn ihr Mann war Polizeibeamter und gestern mit dem Auftrag losgeschickt worden, in Lowtown nach dem Rechten zu sehen. Als er an dem kleinen rosafarbenen Haus von Emporia Nester vorbeigefahren war, hatte er auf der vorderen Veranda tatsächlich einen blassen, abgemagerten jungen Weißen gesehen. Weder der Polizeibeamte noch seine Frau hatten Adrian Keane je kennengelernt, doch da sich die halbe Stadt alte Jahrbücher der Clanton High School besorgt hatte, waren Klassenfotos im Umlauf. Und da der Polizeibeamte darauf trainiert war, Verdächtige schnell zu identifizieren, war er ziemlich sicher, dass er tatsächlich Adrian Keane gesehen hatte.
    »Warum überwacht ihn die Polizei eigentlich?«, fragte Myra etwas irritiert.
    »Mein Mann war nur dort, weil man ihm gesagt hat, dass er hinfahren soll«, antwortete Beth kurz angebunden.
    »Es ist doch kein Verbrechen, eine Krankheit zu haben, oder etwa doch?«
    »Nein, aber die Polizei muss die Öffentlichkeit schützen.«
    »Dann können wir also ruhig schlafen, weil die Polizei Adrian Keane überwacht und dafür sorgt, dass er auf der Veranda bleibt? Willst du das damit sagen, Beth?«
    »Das habe ich nicht gesagt, und du sollst mir keine Worte in den Mund legen. Ich kann fü r mich selbst sprechen.«
    Und so ging es weiter.
    Adrian Keane schlief lange und blieb dann noch eine Weile im Bett liegen, während er an die weiß gestrichene Decke starrte und sich fragte, wie viele Tage er wohl noch hatte. Wieder einmal fragte er sich, warum er eigentlich hier war, doch er kannte die Antwort schon. Er hatte zu viele seiner Freunde sterben sehen. Vor Monaten schon hatte er beschlossen, dass er die Freunde, die noch lebten, nicht mit seinem Anblick belasten wollte. Es war einfacher, sich mit einem schnellen Kuss und einer innigen Umarmung zu verabschieden, solange er dazu noch in der Lage war.
    Seine erste Nacht in dem rosafarbenen Haus war wie immer gewesen: Schüttelfröste und Schweißausbrüche, Erinnerungen und Alpträume, kurze Nickerchen und lange Phasen, in denen er in die Dunkelheit starrte. Als er aufwachte, war er müde, und er wusste, dass die Müdigkeit nie wieder weichen würde.
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