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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Autoren: Rainald Goetz
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Management der großen Wirtschaftsunternehmen, war akzeptiert, weil er sich durch eigene Vorteilsnahme mit dem System einverstanden erklärte und damit selber genügend korrumpierte. Kein Nichtkorrumpierter sollte in ihren Kreisen verkehren, darüber wachte ängstlich die Gesellschaft der Feiglinge ganz oben. Das war der Mechanismus, dessen Opfer Holtrop nach seinem Sturz geworden war. »Das muss man realistisch sehen«, hatte Mack dazu gesagt, »nicht moralisch.« Und dann hatte Mack aus dem angestellten Topmanager Holtrop, der ohne eigenes Verschulden in den Abgrund gestürzt worden war, den freien Unternehmer, den Dealer, den Entrepreneur und Investmentabenteurer Holtrop gemacht. Vierzig Millionen Euro hatte Holtrop von Assperg direkt mitgenommen, zwanzig Millionen würden in den nächsten fünf Jahren von dort noch dazukommen. »Das ist ja nicht viel«, hatte Mack gesagt, aber mehr als nichts sei es natürlich schon. »Mit vierzig Millionen können Sie kleine Brötchen backen oder ein bisschen größere«, hatte Mack bei dem legendären ersten Treffen inHoltrops Wohnzimmer erklärt und Holtrop dann dazu animiert, ihn zu beauftragen, diese in Aussicht gestellten etwas größeren Brötchen für Holtrop backen zu dürfen, mit Holtrops Geld, gegen später von Holtrop zu zahlende Provision. Gerade hatte Holtrop sich mit dem frisch von Assperg herübergespülten Schweigegeld ein bisschen reich gefühlt, nach den Besprechungen mit Mack fühlte er sich jedesmal schuldig, weil er Mack nur Peanuts, nicht ein vernünftiges Vermögen zur Verwaltung übertragen konnte. »Große Sprünge macht man damit nicht, das ist klar.« Aber dann hatte Mack Holtrop den Winter der Genesung über stark dazu gedrängt, mit diesem Geld möglichst schnell nach London zu gehen. Durch eine richtige Steuergesetzgebung laufe der heimliche Boom dort in der City schon seit Monaten, noch seien die Kurse am Fallen, noch könne man überall sehr günstig einsteigen dort. Alle warteten nur auf den Startschuss. Und wenn der Krieg gegen den Irak komme, und dieser Krieg werde kommen, egal was in Washington und Bagdad oder Berlin an Lügen und taktischen Nichtwahrheiten dazu in diesen Tagen vermeldet worden sei, könnte eben dies, der Beginn des Krieges, sehr gut der von allen erwartete Startschuss sein. Im Januar war Holtrop noch nicht so weit. Im Februar auch nicht. Holtrop wollte nicht nach London gehen. London kam ihm alt und langweilig vor. Lieber wäre er nach New York gegangen, auch in den USA war die Rede von einem neuen Finanzboom, der bald richtig anspringen sollte. Dort ging es um Kredite. Nie waren die Zinsen günstiger, nie war das Geld billiger. Aber um am Refinanzierungsgeschäft selber mit Gewinnaussicht teilzunehmen, war Holtrop zu wenig Banker. Dann vielleicht also die Westküste? Dort saßen die einstigen Stars der New Economy verwirrt in ihren mehrfach geschrumpften Restbüros, ratlos. Und die Freunde von früher hatten auch hier für Holtrop, den Nichtmehrchef, nur ganz kurz Zeit. »It’s so great to see you!« Zehn Minuten später war der Termin beendet. Und so war Holtrop jetzt also doch, wie von Mack empfohlen, innerhalb von zwei Wochen dreimal in London gewesen, um mit allen möglichen hier wichtigen Leuten die von Mack vorbereiteten Gespräche zu führen. Mack hatte es zum Ritual erklärt, dass jeder Neuanfänger in der City einen solchen Abend in einem Sextheaterclub wie diesem hier über sich ergehen lassen müsse. Die Frauen vorne auf der Bühne standen auf und verbeugten sich, sie bedeckten Brüste und Scham jetzt mit ihren Händen, spielten fröhlich beschämte Kinder, was von den Männern nach der Hardcorevorführung nicht ungern gesehen wurde, die Männer applaudierten, und die Frauen hüpften seitlich nach hinten weg von der Bühne herunter. Mack rief: »Ich gebe noch einen aus!«, dabei drehte er sich nach dem Kellner um, winkte, gestikulierte mit beiden Armen und bestellte beim so endlich alarmierten und herbeigeeilten Kellner zur Feier des Tages noch eine dritte Flasche Champagner für ein paar hundert Pfund. Dann schaute er Holtrop wie der Krösus von Cremona an, als wäre dieser Coup, dass er hier Champagner ausgibt, schier nicht zu glauben, und lachte und haute sich immer wieder auf die Oberschenkel, dass sein ganzer Kopf und seine Schneckelhaare nur so wackelten.

XII
    2004 . Aber es war nicht nur der Lärm der Lautesten und das leise Tuscheln der Boshaften und Leisen, das verängstigte Zusammenstehen der Leute in
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