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Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Autoren: Henning Mankell
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waren der Ljusdalbus und Eklund schuld. Vor dem Unfall war Papa Samuel wie andere Erwachsene gewesen. Man konnte ihn leicht an der Nase herumführen. Wenn Joel nicht erzählen wollte, daß ihm in Wirklichkeit gar nicht schlecht war oder daß er nicht in der Schule gewesen war, merkte Samuel nichts. Und da er nichts merkte, fragte er auch nicht. Aber das war vor dem Unfall gewesen. Jetzt schien Samuel ihn anders zu sehen. Es verging kein Tag, an dem er nicht fragte, wie Joel sich fühlte. Es war schwerer geworden, Samuel zu beschwindeln. Joel war wach, als Samuel nach Hause kam. Da war es schon Mitternacht.
    »Bist du immer noch wach?« fragte Samuel. »Warum schläfst du nicht ?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Joel. »Aber ich mach jetzt das Licht aus.«
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen Spaß wir beim Tanzen hatten«, sagte Samuel. »Das war wirklich eine gute Idee von dir.«
    Er knipste das Licht aus und ging hinaus. Joel merkte, daß er ein bißchen Magenschmerzen hatte. Gertruds Ohrfeige spürte er nicht mehr im Gesicht. Sie war in den Magen gekrochen. Aber das war kein gewöhnliches Bauchgrimmen. Es war ein Gefühl, als ob Finger in seinem Magen kratzten.
    So einen Schmerz hatte Joel schon einmal gespürt. Das war damals, als er geglaubt hatte, Samuel hätte ihn verlassen und wäre genau wie Mama Jenny verschwunden. Damals hatte Joel einen Stein gegen Saras Fenster geworfen.
    Wenn er Samuel doch erzählen könnte, was passiert war! Die ganze lange Geschichte, die damit begonnen hatte, daß er nicht aufgepaßt hatte und unter den Ljusdalbus geraten war. Er hatte eine gute Tat tun wollen, und das war schiefgegangen. Aber er konnte es nicht erzählen. Samuel würde nichts verstehen. Außerdem war das Risiko zu groß, daß er böse wurde.
    Am nächsten Morgen wurde Joel früh wach. Er hatte einen Alptraum gehabt. Als er die Augen im Dunkeln aufschlug, konnte er sich nicht erinnern, was er geträumt hatte. Vielleicht hatte er wieder gebrannt? Er sah auf den Wecker, der auf dem Hocker neben seinem Bett stand. Viertel nach sechs. Weil es Sonntag war, brauchte er nicht aufzustehen. Er konnte den ganzen Tag im Bett bleiben, wenn er wollte. Durch die Wand hörte er Samuel schnarchen. In der Wand neben seinem Ohr knackte es. Da knabberte eine Maus an etwas. Joel versuchte wieder einzuschlafen. Er schloß die Augen, und jetzt war er wieder im Wald. Immer noch hatte er den geheimnisvollen Baum nicht gefunden. Aber jetzt wußte er, daß er ganz nah war. Auf einem Ast saß ein Eichhörnchen und sah ihn an. Es war ein merkwürdiges Eichhörnchen. Da sah Joel, daß es ein Affe war.
    Er schlug die Augen wieder auf. Er konnte sich nicht auf die Suche nach dem geheimnisvollen Baum konzentrieren. Plötzlich stand Gertrud vor ihm, mitten in der Erzählung, und gab ihm eine heftige Ohrfeige.
    Joel stand auf und zog sich an. Dann tappte er in die Küche und trank ein Glas Milch. Bald würde es hell werden. Dann konnte er hinausgehen. Er fuhr sonntags morgens gern auf seinem Fahrrad durch den Ort. Kein Mensch war unterwegs. Er konnte sich einbilden, er sei das einzige Lebewesen, das übriggeblieben war. Da war er Herrscher über die Leere.
    Draußen war es kühl. Der Fahrradsattel war feucht. In der Ferne hörte er Simon Urväders Laster. Jetzt ist es wieder soweit, dachte Joel. Jetzt kann Simon nachts nicht mehr schlafen. Das Geräusch des Lasters machte ihn wütend. Er wollte Simon Urväder jetzt nicht treffen. Er wollte seine Ruhe haben.
    Er überlegte, woher das kommen mochte, daß er beim Fahrradfahren so gut denken konnte. Was hatten die Räder mit seinem Kopf zu tun? Waren sie wie ein Dynamo, der seine Gedanken antrieb?
    Joel zischte vor sich hin. Vor Wut über sich selbst. Warum dachte er so viele dumme Gedanken? Hatte er das von Mama Jenny geerbt? Dann war es ja ein Glück, daß sie abgehauen war.
    Er hielt vor der Bierstube an und stieg vom Fahrrad. Auf dem heruntergezogenen Rollo stand, daß geschlossen war. Die Bierstube öffnete sonntags nicht vor eins. Aber schon gegen zwölf versammelten sich die alten Biertrinker draußen. Manchmal hatten sie Flaschen in den Innentaschen ihrer Jacken. Die Flaschen ließen sie kreisen, bis Ludde das Rollo hochzog und die Tür öffnete.
    Wahrscheinlich wäre es gut gewesen, wenn gar kein Mirakel passiert wäre, dachte Joel niedergeschlagen. Dann hätte Gertrud ihn jedenfalls nicht geohrfeigt. Er fuhr weiter. Jetzt trat er in die Pedale, so fest er konnte. Er wurde
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