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Jesuslatschen - Größe 42

Jesuslatschen - Größe 42

Titel: Jesuslatschen - Größe 42
Autoren: Rüdiger Paul
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standen.
Industriebrachen einer längst vergessenen Zeit beherrschen das Sichtfeld. Das
Terrain rings um den Kanal sieht abschnittsweise sehr vereinsamt aus.
Lagerschuppen dieser Größe und Bauart haben einfach ausgedient. Das Zauberwort
in der Frachtschifffahrt heißt schon über Jahre hinweg Container.
    Manche Lagerschuppen haben eingefallene
Ziegeldächer. Bei einem ist ein mannsgroßes Loch im Dach zu sehen. So, als ob
sich dort jemand herauskatapultiert hat, ähnlich der Zelle in der
„RUSSIA!“-Ausstellung.
    Abwechslung bieten die Hafenanlagen kaum. Es
ist eher trist, Plätze an denen man verweilen könnte, sind meist total vermüllt . Auf einem Anleger am Kanal mache ich schließlich
die erste Rast und lasse die Beine über dem Wasser baumeln. Tja, was gehen
einem in so einer Umgebung für Gedanken durch den Kopf? Da ich voller
Erwartungen bin und weiß, dass Bilbao eine alte aber moderne Industriestadt
ist, bin ich sicher, es kann nur besser werden. Zusehens erhellt sich der Tag,
auch der Horizont strahlt und in der Ferne zeichnen sich die unverkennbaren
Konturen der Biskaya-Brücke ab.
    Die Hafeneinfahrt überspannend, ist die Brücke
das stählerne Wahrzeichen von Bilbao. Dieses wahrhaft imposante Bauwerk wurde
1892 fertig gestellt. Die Stahlkonstruktion ähnelt sehr der Bauweise des
Eiffelturmes. Vier tragende Säulen sind in knapp fünfzig Meter Höhe und durch
zwei einhundertsechzig Meter lange gewaltige Querstege verbunden. Personen und
Autos werden in einem gewaltigen Stahltrog befördert, dieser hängt an massiven
Seilen und schwebt scheinbar über dem Wasser. Konstrukteur dieses Bauwerkes ist
der baskische Ingenieur A. Palacio , er war übrigens
ein Schüler von Gustave Eiffel. Ein Lift befördert mich auf beachtliche
fünfundvierzig Meter Höhe. Zwischen den beiden Querstegen am oberen Ende der
Stahlbrücke, kann man über einen mit Drahtgittern abgesicherten Laufgang den
Fluss zu Fuß überqueren. Vom Meer her weht ein kräftiger Wind.

    Der Hafen von Getxo sowie das offene Meer sind zu sehen, das Herz wird gleich um einiges leichter.
Unter mir die Hafeneinfahrt, vor mir das Meer, über mir blauer Himmel, Sonne
und Wind. Glück. Eine kleine drahtvergitterte Nische bietet hier oben genügend
Platz für einen kurzen erholsamen Stopp. Brotzeit ist angesagt. Zeit für die
ersten echten Pilgertagebucheintragungen und um ein paar Seiten in Anselm Grüns
Buch zu lesen.
     
     
    „Der
Kern des Glücks: der sein zu wollen der Du bist.“
    Erasmus
von Rotterdam
     
    Die lebhafte Stadt Portugalete ,
am gegenüberliegenden Ufer, verschafft erste Eindrücke vom hiesigen Alltag. Geschäfte
öffnen, Handwerker und Lieferanten beladen ihre Fahrzeuge, Winkelschleifer
kreischen, aus den kleinen Kaffeebars duftet es verführerisch nach
morgendlicher Gelassenheit. Leute gehen in ihre Büros und ein einsamer Pilger
geht seinen Weg. Eine lang gestreckte Avenue führt stadtauswärts.
Fußgängerampeln regulieren alle dreißig Meter den emsigen Fußgängerstrom. Die
Rotphasen sind willkommene Verschnaufpausen, denn das Gepäck auf dem Rücken ist
am ersten Tag schon etwas gewöhnungsbedürftig. So richtig habe ich mich mit
diesem schweren grünen Etwas auf meinem Rücken noch nicht angefreundet.
    Die spanische Art der Betriebsamkeit regt zum
Umdenken an. Opas Taschenuhr tickt hier einfach anders. Es handelt sich bei dem
Modell um ein russisches Zeiteisen aus dem Intershopangebot der 70er Jahre. Dass sie mir in der „RUSSIA!“-Ausstellung nicht aus der Tasche
gesprungen ist, grenzt an ein Wunder. Auf allen Reisen und zu wichtigen
Ereignissen ist diese Uhr dabei und schließt bei jedem Blick auf das
Zifferblatt symbolisch den Kreis meiner Familie. Die Zeit bekommt dadurch eine
andere Wertigkeit. So soll diese mich auf meinem jetzigen Vorhaben begleiten
und mir anzeigen, was die Stunde unter spanischer Sonne geschlagen hat.
    Je weiter die Straße aus dem Ort hinausführt,
umso mehr verliert sich die morgendliche Geschäftigkeit. Ein Friedhof zeigt
sinnbildlich das Ende dieser Stadt an. Stadtfarben wandeln sich ganz allmählich
in Naturfarben. Ein befestigter Weg führt durch ein Tal voller Überraschungen.
So zum Beispiel einen wandernden Mopedfahrer, der, aus welchen Gründen auch
immer, sein Moped schiebt. Ein kunterbunter Vogel, den ich noch nicht
definieren kann, kreuzt seine Flugbahn mit meinem Weg. Seltsame
orchideenähnliche Pflanzen recken hier zuhauf ihre interessanten Blüten in den
Himmel. Am Wegrand liegen
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