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Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld
Autoren: authors_sort
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herbeieilende Haushälterin besorgt.

    Sofie schaute die Stufen hinauf zu ihrer Mutter, die stumm und aufrecht auf dem obersten Treppenabsatz stand, mit bleichem Gesicht und großen Augen.
    Sofie senkte den Blick. »Mir fehlt nichts, Mrs. Murdock«, log sie. Ihre Mama liebte sie nicht und Papa war tot -
    wie sollte sie weiterleben?
    »Du bist verletzt«, jammerte Mrs. Murdock und bückte sich, um dem Kind auf die Beine zu helfen.
    »Sie trägt selbst schuld, wenn sie sich weh getan hat«, rief Suzanne kalt von oben, bedachte Sofie mit einem strafenden Blick und machte kehrt.
    Sofia sah ihrer Mutter nach und fing wieder an zu weinen.
    Ich hab' mir weh getan, Mama. Bitte komm zurück! Aber kein Wort kam über ihre Lippen.
    Mrs. Murdock hob Sofie auf die Beine, die auf dem rechten Fuß nicht stehen konnte und sich auf die Haushälterin stützte. Dabei biss sie sich auf die Lippen, um vor Schmerz nicht laut zu schreien.
    »Ich bring' dich zu Bett und lass' den Arzt kommen«, sagte Mrs. Murdock.
    »Nein!« wehrte Sofie ängstlich ab. Die Tränen liefen ihr nun in Strömen übers Gesicht. Mama würde wütend sein, wenn sie sich wirklich verletzt hatte. Wenn sie sich ausruhte, würde der Schmerz bald vergehen. Und wenn sie brav war, wenn sie ganz, ganz brav war und wenn sie aufhörte zu zeichnen und immer folgsam war, dann würde ihre Mami sie auch wieder lieb haben. »Nein, nein, mir fehlt nichts. Ich hab' mir nicht weh getan.«
    Aber es stimmte nicht. Sie hatte sich weh getan. Sie würde nie wieder richtig gesund sein.
    Teil Eins
    Die verlorene Tochter
    Kapitel 1
    Newport Beach, 1901
    Es war ein herrlicher Tag. Sofie bereute es nicht, aus der Stadt gekommen zu sein, um an dem Gartenfest ihrer Mutter teilzunehmen.
    Ein großes Skizzenbuch unterm Arm, die Spanschachtel mit Kohlestiften in der Hand, blieb Sofie oben auf einer Sanddüne stehen und genoss den Blick über das Meer. Der Atlantik glitzerte im hellen Sonnenlicht, die Gischt der Brandung leckte plätschernd den hellen Sandstrand, am strahlend blauen Himmel kreischten Möwen. Sofie hob ihr Gesicht unter dem Strohhut der Sonne entgegen. Ein beseligendes Glücksgefühl durchrieselte sie; es gab also doch ein Leben außerhalb der vier Wände ihres Ateliers.
    Der pochende Schmerz in ihrem Knöchel holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie durfte nicht länger trödeln. Es war unbedacht gewesen, einen so ausgedehnten Strandspaziergang zu unternehmen. Aber es hatte sich auch gelohnt; sie brachte ein paar gute Skizzen vom Küstenstreifen mit nach Hause, die sie in 01 umsetzen wollte, sobald sie wieder in der Stadt war. Doch zunächst lag ein langer Abend vor ihr, der nicht angenehmer zu werden versprach, wenn sie stärker als sonst hinkte. Ihre Mutter hatte das Haus voller Wochenendgäste, und Sofie hätte sich lieber auf ihr Zimmer zurückgezogen und den Abend an der Staffelei verbracht. Aber sie hatte Suzanne versprochen, sich heute Abend von ihrer geselligen Seite zu zeigen, und sie wollte ihre Mutter nicht enttäuschen.
    Seufzend machte Sofie sich an den Abstieg von der hohen Düne. Hoffentlich waren ein paar bekannte Gesichter unter Mutters Gästen. Sofie, die völlig in der Welt der Malerei aufging, pflegte nur selten gesellschaftliche Kontakte. Ihr fiel es schwer, mit Fremden oder flüchtigen Bekannten zu plaudern, was anderen so mühelos gelang.
    Ihre jüngere Schwester Lisa hatte ihr den Rat gegeben, sie solle über ein beliebiges Thema, das ihr in den Sinn kam, oder irgendeinen Gegenstand plaudern, und wenn es eine hübsche Vase wäre. Das klang leichter, als es tatsächlich war. Sofie wollte nicht länger über den bevorstehenden Abend grübeln. Niemand erwartete schließlich von ihr, Ballkönigin zu sein.
    Etwas unbeholfen stieg Sofie die mit Gestrüpp und Schilf bewachsene Düne hinab und blieb nach wenigen Metern stehen, um ihren Knöchel zu entlasten. Ein wenig atemlos ließ sie den Blick schweifen und sah einen weißen Fleck durch das Grün schimmern. Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie einen Mann, der einen Seitenweg durch die Dünen etwas weiter unten entlang spazierte, ohne sie zu bemerken.
    Der Anblick des Fremden faszinierte Sofie. Er trug keinen Hut, sein dichtes, schwarzes Haar bildete einen starken Kontrast zum Weiß des offenen Leinenjacketts, dessen Rockschöße im Wind flatterten. Die Hände hatte er tief in die Taschen seiner cremefarbenen Hose geschoben.
    Ein kraftvoller Mann, hochgewachsen und breitschultrig, der sich mit der Eleganz und
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