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Je sueßer das Leben

Je sueßer das Leben

Titel: Je sueßer das Leben
Autoren: Darien Gee
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Zeitdifferenz kommen wir nie dazu, zu telefonieren.«
    »Ich werd’s ihr ausrichten«, sagt Livvy, wohl wissend, dass ihre Eltern die Verbindung zu Avalon mit seinen schmerzhaften oder traurigen Erinnerungen weitgehend abgebrochen und ein neues Leben begonnen haben. Sie sind vor zwei Jahren umgezogen, weil sie einen Tapetenwechsel brauchten, wie sie sagten. Geplant war ein Aufenthalt von einem halben Jahr plus/minus, aber mittlerweile sieht es so aus, als würden sie nicht mehr zurückkommen. Ihr flamingofarbenes Apartment in Boca Raton ist das glatte Gegenteil von ihrem ordentlichen, aber etwas düsteren Haus in Avalon. An den Wochenenden spielen sie Bingo und nehmen Salsa-Unterricht. Ihre Mutter hat mit der Aquarellmalerei angefangen, und ihr Vater geht Hochseefischen. Florida ist zwar der letzte Ort, an dem sich Livvy ihre Eltern vorstellen kann, aber offenbar hat das durchorganisierte Leben dort seinen Reiz. Für alles gibt es ein bestimmtes Zeitfenster, und es bleibt kein Raum für Überraschungen – Abendessen um fünf, Canasta um sieben, montags, mittwochs und freitags Hühnchen. Im Moment sehnt sich Livvy nach einem solchen geregelten Dasein. Vielleicht sollte sie auch nach Florida ziehen.
    »Und wie geht es Julia? Man sieht euch ja gar nicht mehr. Heutzutage machen alle Onlinebanking oder benutzen den Automaten vor der Tür. Wer vor zehn in die Bank kommt, kriegt einen frischen Doughnut, wusstest du das? Landet ohne Umwege direkt auf den Hüften!« Mrs. Snyder gluckst.
    Livvy übergeht die Frage nach Julia und bringt gleich ihr Anliegen zur Sprache. »Mrs. Snyder, ich glaube, mit dem letzten Kontoauszug stimmt etwas nicht. Von unserem Girokonto sind fünfhundert Dollar abgebucht worden, und weder Tom noch ich haben diese Summe überwiesen.«
    »Oje.« Mrs. Snyders Stimme klingt plötzlich ernst. »Ich werde mir das Konto mal ansehen. Fünfhundert, fünfhundert … ah ja, da ist es. An CMFTP . Du sagst, du hast das nicht überwiesen?«
    »Nein, habe ich nicht.«
    »Tja, das ist leider schon abgebucht. Ich kann einen Widerruf vermerken, und die Bank sieht sich die Sache an.« Mrs. Snyder tippt etwas in ihren Computer. »Wir haben eine Telefonnummer zu der Transaktion. Die Vorwahl lautet 773. Das ist Chicago, wenn ich mich nicht irre. Willst du zuerst dort anrufen?«
    Livvy überlegt, wann sie das letzte Mal in Chicago gewesen sind – das muss mindestens ein Jahr her sein. Vielleicht hat Tom ja mal wieder irgendetwas gekauft – einen neuen Golfschläger oder so – und vergessen, es ihr zu sagen. Als sie sich kennenlernten, hat Livvy das gleich an ihm gemocht, ein Mann, der sich nicht mit Kleinigkeiten aufhielt, der spontan war und sie ab und zu mit einem kleinen kostspieligen Geschenk überraschte. Erst nach einiger Zeit wurde ihr klar, dass sie weit über ihre Verhältnisse lebten. Aber da war es zu spät – da hatte sie sich schon an den Luxus gewöhnt und wusste, wie man sich von Monat zu Monat hangelte und wie man es schaffte, dass eine Säumnisgebühr erlassen wurde, immer in der Annahme, dass sie irgendwann alles ausgleichen könnten. Dann kam die Wirtschaftskrise, die Kreditzinsen stiegen rasant, und Lohnerhöhungen blieben aus. Jetzt spüren sie die Belastung, und Livvy wünschte, sie könnte die Uhr zurückdrehen, aber das geht natürlich nicht.
    Mrs. Snyder diktiert ihr die Nummer, und Livvy verspricht, sich zu melden, wenn sie wirklich widerrufen will. Beim Wählen legt sie sich eine Reihe von Fragen zurecht. Wofür soll die Summe sein? Wer hat das Geld überwiesen? Wofür steht CMFTP ?
    Eine freundliche Stimme begrüßt sie nach dem ersten Klingelton. »Children’s Memorial Hospital, Stiftungsbüro.«
    Livvy holt tief Luft, dann legt sie leise den Hörer auf die Gabel. Sie schließt die Augen.
    Sie wird Mrs. Snyder nicht zurückrufen.
    Tom schlägt gerade Golfbälle im Vorgarten, als Livvy das Auto abstellt. Sie will nicht fragen, warum er schon zu Hause ist. Er braucht normalerweise eine gute Dreiviertelstunde vom Büro nach Hause und schafft es für gewöhnlich erst kurz vor dem Abendessen.
    »Hallo, Schönste«, ruft er, dann platziert er einen Ball genau in dem alten Hundefressnapf.
    Warum kann er das nicht hinter dem Haus machen, da ist genug Platz, statt hier im Vorgarten, wo ihn jeder sehen kann? Sie nimmt eine kleine Bewegung hinter einem Fenster auf der anderen Straßenseite wahr. Das ist Mrs. Lowry, die alte Schnüfflerin, die zwischen den Gardinen durchlinst.
    »Tom«, zischt Livvy
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