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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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Thema habe. Danach zeigte sie reges Interesse am Kibbuz, fragte nach der Lebensweise, dem gemeinsamen Besitz, der Kindererziehung, der Stellung der Frau und überraschte mich, als sie sagte: »Ich würde gerne ein, zwei Wochen hier verbringen. Ich bin bereit, auf dem Feld oder in der Küche zu arbeiten, geht so etwas?«
    »Du bist jederzeit willkommen. Sag’s mir nur vorher, und ich bereite ein Zimmer für dich«, erwiderte Nili, eine Jugendfreundin, die wie ich in die Jugendgemeinschaft aufgenommen worden und allerdings hier geblieben war, nachdem sie einen der Kibbuzler geheiratet hatte.
    In den Speisesaal kam eine Gruppe blonder junger Leute. Ich hob fragend eine Augenbraue.
    »Freiwillige aus Europa«, erklärte Noa, »besser als fremde Lohnarbeiter einstellen.«
    »Und Freiwillige sind keine fremden Lohnarbeiter?«, bemerkte Nili.
    »Die Freiwilligen sind etwas ganz anderes«, erwiderte Noa, »eine schöne Abwechslung für unsere Kameraden hier. Partys, Ausflüge, es gibt schon gemischte Paare, und es gibt sogar einen aus dem Kibbuz, der geheiratet hat und nach Holland abgewandert ist.«
    »Und wie hat der Kibbuz reagiert?«, fragte ich und dachte an meine unterschwellig immer noch schmerzende Verletzung.

    »Man regt sich lange nicht mehr so auf wie früher«, antwortete Nili. »Weißt du«, fügte sie hinzu, »von unserer ganzen Jugendgruppe bin bloß ich im Kibbuz geblieben, alle sind früher oder später weggegangen.«
    In der Stunde, die bis zum Vortrag blieb, waren wir bei Sonja eingeladen, meiner unvergleichlichen Ausbilderin. Als sie mir die Tür öffnete und Jasmin an meiner Seite sah, leuchteten ihre Augen auf: »Ist das deine Freundin?«
    Jasmin und ich lächelten. Einen Augenblick lang gehörte die Welt uns.
    Sonja, die schon über sechzig war, hatte sich verändert. In den Mundwinkeln hatten sich tiefe Falten eingegraben, Zeichen der schweren Jahre im Kibbuz. Ihre Magerkeit betonte die Spuren der Zeit. Anders als bei fülligen Frauen, bei denen das Fett die Zerstörungen dieser Spuren glättet, war in ihrem ausdrucksstarken Gesicht alles eingemeißelt. Ihr Zimmer war klein und bescheiden wie damals geblieben. Auch die Bewirtung war die gleiche wie einst, einfache Schokolade, ein selbstgebackener Kuchen und Kaffee.
    Jasmin nahm sich ein Stück Schokolade. Ich wäre gerne an ihre Lippen gedrückt worden so wie dieses Stück, wollte streichelnd von ihnen verschluckt werden, doch in Sonjas Gegenwart erstarrte ich wie ein heranwachsender Knabe, der fürchtet, seine Mutter könnte ihn in seiner Blöße sehen. Ich nahm einen Apfel aus dem Ostkörbchen, streichelte ihn und sagte: »Der Kibbuz hat sich verändert, er hat sich entwickelt.«
    »Wer wüsste besser als du, dass jede Parzelle Land hier mit Blut, Schweiß und Tränen getränkt ist«, begann Sonja mit vertrauten Sätzen, die in meinem Gedächtnis eingraviert waren. »Wir haben schließlich bei null angefangen, hier war nichts. Nur felsige Erde, Sümpfe und Malaria …«
    »Und Araber, die hier seit Generationen lebten, nicht wahr?«, mischte sich Jasmin, ganz unschuldig, ein.
    »Ja, natürlich«, bestätigte Sonja etwas verlegen, doch sie erklärte
weiter wie eine geduldige Lehrerin, »aber schau, sie waren geschwächt, und wir haben ihnen die Werte und Kultur des Westens gebracht.«
    Jasmin wechselte die Farbe. Ich befürchtete, sie würde eine erregte Debatte eröffnen, die jetzt äußerst unpassend gewesen wäre. Die heroische Geschichtsdarstellung aus Sonjas Mund entsprach genau dem, was Jasmin immer als die »undurchdringliche zionistische Arroganz« bezeichnete. Doch sie bewahrte ihre Zurückhaltung und erwiderte nur ironisch darauf: »Wir sind ja tatsächlich hierher gekommen, um den Arabern etwas Gutes zu tun.«
    Sonja überhörte die Stichelei und setzte zu einer ausführlichen Erklärung an: »So war es von dem ersten Tag an, als wir in die öde Wildnis des Jezreeltals kamen, wir haben alles getan, um freundschaftliche Beziehungen mit den arabischen Dörfern in der Umgebung zu entwickeln, wir haben in ihnen einen Teil des Weltproletariats gesehen, das unter dem Joch des Kapitalismus ächzt, wir hofften, sie würden verstehen, dass ihre Feinde die Effendis waren, die ihre Fronarbeit ausbeuteten. Unsere Traktoren haben ihren Boden umsonst umgepflügt und für die Saat vorbereitet, in den Jahren der Dürre füllten wir ihre Wasserlöcher, unsere medizinische Versorgung stand ihnen gratis zur Verfügung. Wir wollten gute Nachbarschaft und
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