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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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irakischen Brüder hatten jedoch ihre eigene Aussprache, die zu verstehen ihm durchaus schwerfiel. Man musste sie vielleicht doch auf Hocharabisch anreden, das jeder Araber beherrscht, dachte er, aber zuvor würde er eine Pause machen, um sie trinken zu lassen. Er wollte zu ihnen hinuntergehen, sie an sein Herz drücken und den Geschichten der heldenhaften Nacht lauschen, die sie hinter sich hatten, doch da näherte sich der Terrasse ein Soldat mit zerrissenem Hemd und verbundenem Arm. Er nahm zu Ehren des Senators Haltung an, setzte den Helm ab, hob seinen rötlichblonden Kopf zu ihm und sagte:
    »Ihna jahud, min hon, wir sind Juden, von hier, von Israel …«
    »Juden? Von Israel?«, stieß der Senator entsetzt hervor. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Für einen Moment verschwamm alles vor seinen Augen, sein Blick irrte hierhin und dorthin, und dann machte er mit abrupter Bewegung kehrt und ging zurück in sein Wohnzimmer. Lange Zeit saß er auf der Kante des Stuhls, wie ein ungebetener Gast in seinem eigenen Haus, und zitterte. Was wäre, wenn die Soldaten, die Juden, ihn töteten, ihn und seine Frau? Man musste jemanden informieren. Mit zitternden Knien erhob er sich und wählte zum fünften Mal seit Beginn der Bombardierungen die Nummer seines Nachbarn und Freundes, des Journalisten Abu George.

    Abu George hörte ihm ungeduldig zu. War der greise Senator verrückt geworden? Die ganze Nacht hatte er ihm doch erklärt, dass nichts zu befürchten sei, ganz im Gegenteil! Und er berichtete ihm wieder von der Besichtigungstour, die der Kommandant des Sektors vor einer Woche für die Journalisten im jordanischen Armeelager auf al-Mudawara, dem Munitionshügel, arrangiert hatte.
    »Unsere Streitkräfte sind gut gerüstet. Die Juden wissen, was sie hier erwartet. Sie werden kaum Selbstmord begehen wollen, oder?«, hatte der Kommandant der Stellung, deren Aufgabe die Verteidigung des Nordens der Stadt war, gesagt. Und gerade diese maßvolle Antwort, in britisch unterkühltem Stil geäußert, hatte ein Lächeln auf den Gesichtern der Journalisten aufkommen lassen. Der Kommandant hatte ihnen auch die schweren Befestigungen und die tiefen, in Beton gegossenen Kanäle gezeigt, die sich um den gesamten Hügel wanden. Er hatte vierzig Bunker gezählt, deren Mauern Dutzende Zentimeter dick waren, und dazwischen Beobachtungs- und Schießposten, schwere Granatwerfer und Geschützstellungen, die jeden Fleck auf dem Hügel beherrschten. Unter den Bunkern verbarg sich der riesige Kommandokeller, wie eine antike Höhle in Stein gehauen, und der Kommandant hatte sie dorthin geführt und sogar die Munitionslager vor ihnen geöffnet. Wer konnte diesen Hügel einnehmen?, dachte Abu George. Das gesamte Gelände war dicht vermint, und hunderte erfahrene Legionssoldaten standen bereit. »Wer würde es wagen, uns herauszufordern?«, hatte der Kommandant des Sektors die Führung beschlossen.
     
    »Ein Jude, von Israel! Glauben Sie mir«, wiederholte der Senator.
    »Was Israel, wieso?«, erwiderte Abu George, und er empfand Mitleid mit dem Alten, den wohl Halluzinationen befallen hatten. Schon seit einigen Nächten hatte er wegen des Kriegs gegen die Zionisten nicht schlafen können, und diese Nacht war die schlimmste von allen gewesen. Um Mitternacht hatte der Angriff
auf al-Mudawara und das Scheich-Dscharrah-Viertel begonnen und bisher nicht aufgehört. Schusswechsel, Granatendetonationen und das Pfeifen von Kugeln erschütterten das ganze Viertel. Er begriff, dass beruhigende Worte nicht ausreichten.
    »Herr Senator, kommen Sie zu uns, es ist uns eine Ehre, Sie zu Gast zu haben. Meine Tochter Jasmin ist in Paris, wie Sie wissen, und ihre Suite steht leer. Das ganze erste Stockwerk gehört Ihnen! Ich komme Sie abholen.«
    »Danke, Allah möge Jasmin schützen. Ich bleibe hier, und wenn mir der Tod bestimmt ist, werde ich in meinem Haus sterben«, erwiderte er mit niedergeschlagener Stimme.
     
    Nachdem Abu George den Hörer aufgelegt hatte, ergriff er hastig ein Fernglas und stieg auf das Dach seines Hauses. Er wollte herausfinden, was sich am Kampfschauplatz abspielte, doch der Schadscharrat al-Jahud, ein ausladender Eukalyptusbaum, verdeckte den direkten Blick auf den Hügel. Er ging bis an den Dachrand und setzte das Fernglas an seine Augen. Im Norden, vor dem Hintergrund eines grauen Himmels, sah er ausgebrannte Fahrzeugskelette und schwarzen Rauch, der von ihnen aufstieg.
    Plötzlich herrschte Stille, doch gerade diese Stille schien
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