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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Autoren: Craig Russell
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schlaffen Bauch der lethargischen mittleren Jahre hatten. Aber als er dicht an ihnen vorbeiging, bemerkte Fabel, dass einer der beiden nicht älter als Ende zwanzig oder Anfang dreißig sein konnte.
    Eine solche Verschwendung der Jugend deprimierte den Hauptkommissar. Er dachte an das, was Anna und ihm bevorstand: die Begegnung mit einem Leben und einer Jugend, die nicht verschwendet, sondern gestohlen worden waren, und mit einer zerbrochenen, nicht mehr vollständigen Familie. Das, was ihm bei seiner Arbeit als Mordermittler am stärksten zusetzte, war die Begegnung mit den Familien von Vermissten. Besonders wenn ein Kind verschwunden war. In solchen Haushalten breitete sich immer ein Gefühl des Unvollständigen,Ungelösten aus. In den meisten Fällen war es einfach die überwältigende Empfindung des Wartens: darauf, dass der Mann, die Frau, der Sohn oder die Tochter heimkehrten. Oder darauf, dass jemand das Warten beendete, indem er die Familie über den Tod des Vermissten unterrichtete. Jemand wie Fabel.
    Fabel und Anna Wolff setzten sich an einen Tisch am Ende des Cafés, möglichst weit weg von den Truckern, damit ihr Gespräch nicht belauscht werden konnte. Anna bestellte eine Bratwurst und einen Kaffee. Fabel entschied sich für ein belegtes Brot und bestellte ebenfalls Kaffee. Dann legte Anna die Akte, die sie aus dem Auto mitgebracht hatte, auf den Tisch und drehte sie um, damit Fabel den Text lesen konnte.
    »Paula Ehlers. Sie war dreizehn Jahre alt, als sie verschwand. – Genauer gesagt, sie wurde am Tag nach ihrem dreizehnten Geburtstag vermisst und wäre heute sechzehn Jahre alt. Wie es auf dem Zettel heißt, wohnte sie im Buschberger Weg in Norderstedt, und zwar im Bezirk Harksheide. Das Haus war zu Fuß etwa zehn Minuten von ihrer Schule entfernt, und laut dem Bericht der Norderstedter Kripo verschwand sie während dieses zehnminütigen Weges.«
    Fabel schlug die Akte auf. Das Gesicht, das ihm von dem Foto entgegenlächelte, war das eines sommersprossigen Mädchens. Eines Kindes. Fabel runzelte die Stirn. Er dachte an die Leiche am Strand und an das Gesicht, das ihn von dem kalten Sandboden her ausdruckslos angeschaut hatte, und verglich es mit dem Foto vor ihm. Die Gesichter waren ähnlich geschnitten, doch die Augen schienen nicht die gleichen zu sein. War es bloß der Unterschied zwischen der Androgynie der Kindheit und der schon fast vollständig ausgebildeten Weiblichkeit einer Sechzehnjährigen? Waren die Veränderungen des Gesichts das Ergebnis von drei Jahren unvorstellbarer Pein? Die Augen. Er hatte die Augen des toten Mädchens, das scheinbar lebendig am Strand von Blankenese lag, lange gemustert. Diese Augen beunruhigten Fabel.
    Anna biss in die Bratwurst. Als sie weitersprach, pochte sie mit dem Finger der einen Hand auf die Akte, während sie sich die andere Hand vor den Mund hielt, als wolle sie die Akte vor Fettspritzern schützen.
    »Die Norderstedter Polizei hat alles Notwendige getan und auch ihren Spaziergang nach Hause rekonstruiert. Einen Monat später hatte man immer noch nichts gefunden und stufte die Sache als Vermisstenfall und gleichzeitig als möglichen Mordfall ein.«
    Fabel blätterte die übrigen Seiten der Akte durch. Brauner hatte ein halbes Dutzend vergrößerter Fotokopien des Zettels angefertigt. Eine war nun ans Schwarze Brett im Hauptbüro der Mordkommission geheftet, eine weitere lag in der Akte vor Fabel.
    »Ein Jahr später haben sie den Fall wieder aufgerollt«, fuhr Anna fort. »Sie haben jeden befragt, der am Jahrestag von Paulas Verschwinden durch die Gegend ging oder fuhr. Wieder blieben sämtliche Bemühungen ergebnislos. Die Ermittlung wurde von einem Kriminalkommissar Klatt von der Norderstedter Kripo geleitet. Ich habe ihn heute Nachmittag angerufen. Er steht uns zur Verfügung und hat mir sogar seine private Telefonnummer gegeben, falls wir ihn nach unserem Gespräch mit der Familie Ehlers anrufen wollen. Laut Klatt wurden keine echten Hinweise gefunden, obwohl er einen von Paulas Lehrern sehr genau unter die Lupe nahm…« Anna drehte die Akte teilweise wieder zu sich um und überflog rasch die Seiten, die die Norderstedter Polizei dem Präsidium zugefaxt hatte. »Da… ein Herr Fendrich. Klatt gibt an, keine Handhabe gegen Fendrich zu haben, nur ein ungutes Gefühl wegen der Beziehung zwischen dem Lehrer und Paula.«
    Fabel betrachtete das sommersprossige Gesicht auf dem Foto. »Aber sie war erst dreizehn…«
    Anna setzte eine »Das weißt du doch
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