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Jakobsweg im Smoking

Jakobsweg im Smoking

Titel: Jakobsweg im Smoking
Autoren: Philipp Winterberg
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Sie sich vorstellen, wie schwer es für einen Arzt ist, durchsichtiges Blasenpflaster aus Haut herauszuschneiden?“
    Das möchte ich mir lieber nicht vorstellen.
    „Kaufen Sie Sporttape.“, rät der Verkäufer.
    „ Einfach alles großzügig abkleben. Vorher mit einem Alkoholtupfer die Haut fettfrei machen. Und Bepanten Antisept ist auch gut.“
    Einige Meter neben uns rummst und knackt es plötz lich laut. Eine alte Dame um die 70 hat trotz blauer Leuchtleiste und riesiger „Vorsicht Stufe!“-Beschriftung die Stufe übersehen und ist, ohne sich abzufangen, der Länge nach auf dem Boden aufgeschlagen. Sofort wird ihr aufgeholfen. Ein anderer Kunde blickt mich blass an:
    „ Das hat geknackt, da ist was gebrochen.“
    „ Das war nur ihr Schirm, auf den sie gefallen ist“, kann ich ihn etwas beruhigen. Doch auch mir ist nicht ganz wohl. Die alte Dame hat sich die Nase aufgeschürft und versucht Haltung zu bewahren.
    Der Verkäufer sieht kurz nach dem Rechten und kommt dann zu mir zurück:
    „Gehirnerschütterung, würde ich sagen, aber das merkt sie erst in ca. 15 Minuten. Naja, man kann sie nicht festhalten, wenn sie weitergehen möchte... Nehmen Sie Woolpower Socken als Wandersocken. Die haben zwar nicht dieses ergonomische Links-/Rechts-Design, aber das finde ich sowieso unnötig. Die sind auch nicht ganz so fein, eher industriell, aber die halten was aus. Werden in Schweden gefertigt.“
    Er ist wieder ganz in seinem Element. Ich bin noch leicht schockiert und nehme mir fest vor, auf jeden Fall ein bis zwei Wanderstöcke auf dem Jakobsweg zu benutzen. Besser zwei.
    „ Besorgen Sie sich eine Stirnlampe. Dann können Sie auch mal abends noch was lesen ohne die anderen zu stören. Oh, und: Ohropax! Besorgen Sie sich unbedingt Ohropax!“
    Er grübelt einen Moment, bevor er fortfährt:
    „Was Sie auch noch machen können, ist dieses ‚Trekking ultraleicht’-Buch kaufen. Haben wir oben in der Buchabteilung. Kostet einen Zehner. Das sind zwar so Nerds, die ihre Zahnbürsten absägen, um noch ein paar Gramm zu sparen, aber da steht auch viel Nützliches drin.“
    Ich bedanke mich, gehe mit zwei Paar Woolpower Wandersocken, Pflegewachs und meinem neuen Haustier „Hanwag Canyon II Terra Care“ zur Kasse.

    In den anderen Stockwerken kaufe ich die empfohlene Stirnlampe und das kleine Buch, das wenig später zu meiner Rettung wird. Ich bin dem Verkäufer ewig dankbar für diesen Buchtipp.
    In den Wander schuhen laufe ich tapfer ein paar Minuten durch die Kölner Innenstadt: Sie sind unbequem, drücken an der Wade. Ich fühle mich auf Grund der hohen Sohle wie auf Eimerstelzen. Etwas wackelig und ungelenk. Dafür sind meine Knöchel steif und sicher verpackt. Das kann doch alles nicht richtig sein. Meine Füße beschimpfen mich, aber ich höre sie kaum, weil sie so dicht verpackt sind. Entgegen aller Körpersignale laufe ich weiter und denke:
    „ Ich bin vom Profi ausführlichst beraten worden. Wenn er sagt, dies ist der richtige Schuh, dann ist dies der richtige Schuh. Ich muss ihn nur einlaufen. Es kann doch nicht sein, dass ich keine halbe Stunde geradeaus laufen kann. Wie soll ich da denn erst über die Pyrenäen kommen?“
    Etwa 10 Minuten später haben meine Füße den Kampf gewonnen. In diesen Monstern wäre der Jakobsweg für mich zu Ende, noch bevor ich die erste Herberge erreicht habe. Ich ziehe die Schuhe aus und tausche sie um.

    Höchst demotiviert sitze ich nach den ersten erfolglosen Versuchen in Sachen Rucksack- und Schuhkauf im Café. Die Petzl Tikka XP² Stirnlampe sieht gut aus, aber ich habe keine Schere dabei, mit der ich sie aus ihrer Sicherheitsverpackung herausschneiden könnte. Also greife ich lustlos zu „Trekking ultraleicht“ und blättere ein wenig darin.
    Schon bald hellt sich meine Miene auf: In diesem Buch werden Rucksäcke empfohlen, die nicht 1,7 kg sondern 0,7 kg wiegen. Oder noch weniger. Es werden Schuhe vorgestellt, die nicht 2 Kilogramm auf die Waage bringen und schmerzhaft eingelaufen werden müssen.
    Die hier beschriebenen leichten Geländelaufschuhe, so genannte „Trail Running“-Schuhe, wiegen nur etwa 600 g und sind angeblich von Anfang an bequem.
    Das Zauberwort heißt „ultraleicht“. Ultraerleichtert schöpfe ich neue Hoffnung.

    Die Hinweise des Verkäufers zur Wanderschuhpflege sind, wie auch die Tipps und Hinweise im weiteren Verlauf des Buches, richtig und zutreffend und wurden von mir nachgeprüft – zur Lederpflege heißt es z.B. auf der Website von
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