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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit
Autoren: William Makepeace Thackeray
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sie sank in die Kutsche zurück und sagte erleichtert: »So, das war das Wörterbuch; und nun ist Chiswick Gott sei Dank überstanden.«
    Miss Sedley war über Beckys trotzige Handlung fast ebenso bestürzt wie Miss Jemima, denn man möge bedenken, daß sie erst vor einer Minute die Schule verlassen hatte und daß die Eindrücke von sechs Jahren in einem so kurzen Zeitraum nicht ausgelöscht werden können. Ja bei einigen Menschen wirken die Schrecken und die Ehrfurcht der Jugendzeit ständig fort. Ich kenne einen alten Herrn von achtundsechzig Jahren, der mir eines Morgens beim Frühstück aufgeregt berichtete: »Ich habe heute nacht geträumt, Doktor Raine hätte mich geprügelt.« Die Phantasie hatte ihn im Laufe jenes Abends um fünfundfünfzig Jahre zurückgeführt. Im Innersten flößten ihm Doktor Raine und sein Stock jetzt mit achtundsechzig Jahren ebensoviel Furcht ein wie mit dreizehn. Wäre nun der Doktor mit einer großen Rute jetzt, in seinen alten Tagen, vor ihm erschienen und hätte ihm mit schrecklicher Stimme zugerufen: Junge, die Hosen herunter! ... Nun ja, Miss Sedley war wegen dieser Unbotmäßigkeit höchst bestürzt.
    »Wie konntest du das nur tun, Rebekka!« sagte sie endlich nach einer Pause.
    »Ach, glaubst du denn, Miss Pinkerton wird herauskommen und mich in das schwarze Loch zurückholen?« fragte Rebekka lachend.
    »Nein, aber ...«
    »Das ganze Haus ist mir verhaßt«, fuhr Miss Sharp wütend fort. »Hoffentlich bekomme ich es nie wieder zu Gesicht. Ich wollte wahrhaftig, es läge auf dem Grunde der Themse, und wenn Miss Pinkerton dort wäre – ich würde sie bestimmt nicht herausziehen. Oh, wie gern würde ich sie in dem Wasser da treiben sehen, samt ihrem Turban und allem anderen, die Schleppe hinter ihr her, und als Schiffsschnabel ihre Nase!«
    »Pst!« rief Miss Sedley.
    »Warum? Wird der schwarze Diener schwatzen?« rief Miss Rebekka lachend. »Er soll ruhig zurückgehen und Miss Pinkerton sagen, daß ich sie aus tiefster Seele hasse; ich wollte, er täte es, und ich wollte, ich hätte auch eine Möglichkeit, es ihr zu beweisen. Zwei Jahre lang hat sie mich bloß beleidigt und beschimpft. Ich bin schlechter behandelt worden als eine Küchenmagd. Nie hatte ich eine Freundin, und außer dir gab mir niemand ein freundliches Wort. Ich mußte die kleinen Mädchen in den unteren Klassen beaufsichtigen und mit den größeren französisch sprechen, bis meine Muttersprache mir zum Halse heraushing. War es nicht ein köstlicher Spaß, daß ich mit Miss Pinkerton Französisch sprach? Sie kann kein Wort Französisch, aber sie ist viel zu stolz, es einzugestehen. Ich glaube, das war der Grund, weshalb sie mich laufenließ, und deshalb sei dem Himmel Dank für das Französische! Vive la France! Vive l'Empereur! Vive Bonaparte! 1 «
    »Rebekka! Rebekka, schäm dich!« rief Miss Sedley; das war die größte Lästerung, die Rebekka je ausgestoßen hatte, denn wenn man in jenen Tagen in England sagte: »Es lebe Bonaparte!«, so war dies gleichbedeutend mit: »Es lebe Luzifer!« – »Wie kannst du nur! Wie wagst du, so schlecht und rachsüchtig zu denken?«
    »Rache mag schlecht sein, aber sie ist natürlich«, erwiderte Miss Rebekka. »Ich bin kein Engel.« Und um die Wahrheit zu sagen, das war sie wirklich nicht.
    Denn man wird im Laufe dieser kleinen Unterhaltung, während deren die Kutsche am Ufer des Flusses träge dahinrollte, bemerkt haben, daß Miss Rebekka Sharp zweimal das Bedürfnis verspürt hatte, dem Himmel zu danken; das erstemal jedoch geschah es nur deshalb, weil er sie von einer Person befreit hatte, die sie haßte, und das zweitemal, weil er ihr die Gelegenheit gab, ihre Feinde in Verlegenheit oder Verwirrung zu bringen. Beides waren nicht gerade liebenswürdige Beweggründe zu frommer Dankbarkeit, und freundliche und versöhnliche Gemüter würden sie auch nicht dafür gebrauchen. Miss Rebekka nun war nicht im mindesten freundlich oder versöhnlich. Dieser kleine Misanthrop (oder, besser gesagt, Misogyn, denn mit der Männerwelt hatte sie bisher wohl wenig Erfahrungen gemacht) war der Meinung, alle Welt behandele sie schlecht, wobei ziemlich sicher ist, daß alle Menschen beiderlei Geschlechts, die alle Welt schlecht behandelt, diese Behandlung auch verdienen. Die Welt ist ein Spiegel, aus dem jedem sein eigenes Bild entgegenblickt. Wirf einen mürrischen Blick hinein, und sie wird dir ein saures Gesicht zeigen, lach sie an und lach mit ihr, und sie ist dir ein lustiger,
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