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Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit
Autoren: William Makepeace Thackeray
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Amelia erfahren werden, kann es nichts schaden, wenn wir gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft sagen, daß sie eines der besten und liebenswürdigsten Geschöpfe war, die je lebten, und es ist ein Segen, daß wir, da es sowohl im Leben als auch in Romanen (und in diesen besonders) von Bösewichten der schlimmsten Sorte nur so wimmelt, solch einen ehrlichen und gutherzigen Menschen zur Seite haben. Da sie keine Heldin ist, brauchen wir ihre Person nicht zu beschreiben; ich befürchte sogar, daß ihre Nase etwas zu klein und ihre Wangen viel zu rund und rot für eine Heldin waren; aber ihr Gesicht strahlte von blühender Gesundheit, und auf ihren Lippen lag das munterste Lächeln; sie hatte ein Paar Augen, die von lebhafter und ehrlicher guter Laune blitzten, wenn sie sich nicht gerade mit Tränen füllten, und das geschah in der Tat viel zu oft, denn das einfältige Ding konnte über einen toten Kanarienvogel oder über eine Maus, die die Katze gefangen hatte, oder über den Schluß eines Romans, war er auch noch so albern, weinen; und sagte man ihr ein unfreundliches Wort – vorausgesetzt, es fand sich jemand, der so hartherzig war –, um so schlimmer war es dann für diesen. Sogar Miss Pinkerton, diese strenge und göttergleiche Dame, schalt sie nur einmal, und obgleich sie von Gefühlen ebensowenig verstand wie von Algebra, gab sie allen Lehrern den ausdrücklichen Befehl, mit Miss Sedley so sanft wie möglich umzugehen, da diese eine rauhe Behandlung nicht vertrage.
    Als der Tag der Abreise kam, wußte Miss Sedley daher nicht, für welche ihrer beiden Gewohnheiten – lachen oder weinen – sie sich entscheiden sollte. Sie war froh, nach Hause zu kommen, und dabei doch wieder so unendlich traurig, die Schule verlassen zu müssen. Die letzten drei Tage folgte ihr die kleine verwaiste Laura Martin überallhin, wie ein kleines Hündchen. Sie mußte mindestens vierzehn Geschenke machen und entgegennehmen und vierzehnmal das feierliche Versprechen geben, jede Woche zu schreiben. »Schicke deine Briefe an mich bitte an die Adresse meines Großvaters, des Grafen von Dexter«, sagte Miss Saltire (die, nebenbei erwähnt, etwas knauserig war). »Du brauchst dich nicht um das Porto zu kümmern, schreibe mir nur jeden Tag, mein Herzblatt«, bat die ungestüme, wollhaarige, aber großherzige und liebevolle Miss Swartz, und die kleine Laura Martin – die eben schreiben gelernt hatte – ergriff die Hand ihrer Freundin und sagte, ihr ernst ins Gesicht schauend: »Amelia, wenn ich dir schreibe, werde ich dich Mama nennen.« Zweifellos wird Jones 7 , der dieses Buch in seinem Klub liest, alle diese Einzelheiten äußerst töricht, unbedeutend, geschwätzig und übersentimental finden. Ja ich sehe direkt, wie Jones in diesem Augenblick – gerötet nach dem Genuß seiner Hammelkeule und einem Glas Wein – seinen Bleistift zückt, die Worte »töricht, geschwätzig« und so weiter unterstreicht und »sehr richtig« an den Rand schreibt. Ja, er ist ein Mann von großem Geist und bewundert das Erhabene und Heroische im Leben und im Roman; und deshalb sollte er sich lieber warnen lassen und sich anderem zuwenden.
    Nun gut. Nachdem Mr. Sambo Miss Sedleys Blumen, Geschenke, Koffer und Hutschachteln in der Kutsche verstaut und dem Kutscher grinsend einen winzigen, schäbigen alten Rindslederkoffer, säuberlich mit Miss Sharps Namensschild versehen, gereicht hatte, den dieser hohnlächelnd wegpackte, schlug die Abschiedsstunde. Der Schmerz dieses Augenblicks wurde durch die vortreffliche Ansprache, die Miss Pinkerton an ihre Schülerin richtete, beträchtlich gelindert. Nicht daß die Abschiedsrede Amelia etwa zum Philosophieren verleitet hätte oder sie irgendwie mit einer Ruhe, die der Vernunft entspringt, gewappnet hätte – nein, die Rede war unerträglich langweilig, hochtrabend und ermüdend; und da Miss Sedley ihre Schulvorsteherin nicht wenig fürchtete, so wagte sie nicht, in deren Gegenwart ihrem privaten Schmerz freien Lauf zu lassen. Ein Kümmelkuchen nebst einer Flasche Wein wurden in den Empfangsraum gebracht, was sonst nur bei dem feierlichen Anlaß von Elternbesuchen geschah, und nachdem man diesen Erfrischungen gehörig zugesprochen hatte, stand es Miss Sedley frei, zu gehen.
    »Sie gehen doch wohl hinein und verabschieden sich von Miss Pinkerton, Becky?« sagte Miss Jemima zu einer jungen Dame, die, von niemandem beachtet, eben mit ihrer Hutschachtel die Treppe herabkam.
    »Ich kann wohl nicht umhin«, sagte Miss
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