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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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akzeptiert war, aber nur in der anderen Sprache möglich, nicht ins Denken und nicht ins Tun zu übersetzen? Sie selber war nicht ehrlich, einer Sache Sozialismus wollte sie den Vorzug geben, in einem kapitalistischen Land arbeitete sie, in einer Bank! Da kann ein Kind nicht gut den Umzug in den Sozialismus vorschlagen, eben der Stimmigkeit zuliebe, denn es verlöre seine ganze Stadt New York mit allen Freunden und Subway und South Ferry und Bürgermeister Lindsay, und muß es belassen bei der Unredlichkeit, die aber nicht sein soll. Dann aber, wenn die Mutter sich wahr macht, unwidersprochen von seiten des Kindes, und geht für die Sache Sozialismus weg von New York, womöglich in diesem Sommer, sitzt die jüngere Cresspahl in der Tinte, und hat sie anrühren helfen. Das wird Marie einmal sagen über ihre Mutter, Gesine Cresspahl (Mrs.): Das Leben mit ihr war nicht ein leichtes Bündnis.
    Zwei Tage Ferien auf dem Lande. Wechselnde Bewölkung, gelegentlich Sonnenspiegelung im starren Wasser.
    Marie hat viele Geschäfte rund um die Schule am oberen Riverside Drive, um den Broadway auf der Oberen Westseite Manhattans; am Patton Lake war es still. In der Stadt muß sie nur wenige Stunden mit der Mutter zusammen sein; am Patton Lake hockte sie gelegentlich so zerrüttet und verrutscht auf dem Bootssteg, wartend wie in einer Wüste, und hätte noch die Landung eines Armeehubschraubers hingenommen als eine Erlösung von dem ununterbrochenen Zusammensein, und dem Bewußtsein davon.
    – Nein: sagte sie: Nicht von der Armee. Aber von Radio Boston. (Dann blieb sie ihrer Höflichkeit treu und sprach von selbstverschuldeter Langeweile.)
    Sie las in den Zeitungspacken, die sie angeschleppt hatte. Da haben sie doch in Brooklyn Charlie LoCicero, einen Ältesten der Mafia, in seinem Eckcafé tot geschossen, als er an seiner Malzmilch mit Erdbeer schlürfte. Elfte Avenue Ecke 66. Straße, Marie hätte gern den Tatort einmal besichtigt, und morgen wird es versäumt sein. Im Hudson am Pier 86 sind fünf Kriegsschiffe der N. A. T. O. vor Anker gegangen, die New Yorker werden Schlange stehen bei den Zerstörern, und Marie hätte da auch einmal durchgehen mögen mit einem fetten schwarzen Farbstift und Zeichen hinterlassen, Fratzen oder das Symbol der Atombombengegner (– Das letztere: sagt sie). Aus den reichen Vororten sind Leute in die nördlichen Slums der Stadt gekommen und haben dort ein wenig gefegt, geputzt und gemalt, das Innere der Häuser mit Schaben und Ratten jedoch ungeschoren gelassen (– Damit sie beim Durchfahren ein besseres Gewissen haben: sagt Marie). Dennoch, auch sie hätte den Gästen aus der Wohlhabenheit gern zugesehen, und wäre nicht am Lake Patton gewesen, sondern in New York.
    Gelegentlich brachte sie internationale Nachrichten nach draußen, nicht ohne daß sie der Mutter den Liegestuhl ein wenig nach der Sonne gedreht und die Decken fester gezogen hätte. Tatsächlich überreichte sie die Ausrisse, als hätte sie es mit einer Invaliden zu tun. Dabei kann man unauffällig eine Hand länger als nötig auf der Schulter der Anderen liegen lassen; so sieht es nicht zu anhänglich aus, oder geradezu zärtlich.
    In Bonn hat die Luftwaffe gestern morgen den fünfzigsten Todestag des Barons von Richthofen gefeiert, des Abschießers von achtzig französischen und britischen Flugzeugen. Im Gefängnis Klingelpütz zu Köln werden offenbar die geisteskranken Häftlinge gewohnheitsmäßig totgeschlagen. Marie nimmt das Blatt schweigend zurück, erwidert das Nicken, verzieht sich schweigend ins Innere des Hauses.
    In so ein Land willst du nun zurück, Gesine.
    Ich bin noch nicht ehrlich, Marie.
    Können wir auch hier haben.
    Vielleicht bleiben wir.
    Siehst du!
    An das Fernsehgerät der Gastgeber geht sie nicht. Vor sechs Jahren hat Gesine Cresspahl die Fernsehprogramme der U. S. A. als schädlich befunden für ein Kind, und es gibt keinen Apparat in unserer Wohnung. Marie geht zu Freunden, oder zu Jason in den Keller, wenn sie eine Sendung braucht, aber hier läßt sie sogar das Radio in Ruhe. So kann sie einmal hinweisen auf ein verjährtes Versprechen und zum anderen zeigen, daß sie die Ferien auf dem Lande nicht stört mit Lärm.
    Es ist ihr nicht behaglich neuerdings, daß jemand vierzig Stunden in der Woche arbeitet nicht für sich allein, sondern auch für ihr Leben und Schulgeld. Als Belohnung hat sie mir für das Jahr 1982 ein Haus versprochen in jener Gegend von Richmond, wo die Insel am stillsten ist.
    Jedes
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