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Jäger

Jäger

Titel: Jäger
Autoren: Greg Bear
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Angst.
Zählen Lämmer die Schmetterlinge, wenn sie zur Schlachtbank
geführt werden?
    Niemand bemerkte unseren Abflug. Alle waren viel zu sehr damit
beschäftigt herauszufinden, was, zum Teufel, an Bord des
exklusivsten und teuersten Luxusschiffes der Welt geschehen war.
Weshalb so viele gestorben waren. Ich bezweifelte, dass irgendjemand
jemals die Kliniken, die Labors und die Tanks mit den Zuhörern
zu sehen bekommen würde.
    Die Ermittler würden irgendwie abgelenkt, ausgetrickst und
woanders hingeschickt werden. Oder auf mysteriöse Art und Weise
ums Leben kommen.
    Silk würde weiterexistieren.
    Der Hubschrauber flog nach Osten. Ich fragte den Piloten, wo wir
landen würden.
    »Exuma Cays, auf Lee Stocking Island«, antwortete er mit
russischem Akzent. »Ein Badeort. Sehr nett. Wird Ihnen
gefallen.«
    »Ja, sicher.«
    »Schade, dass Sie nicht allzu lange bleiben
können«, fügte er hinzu. »Es braut sich ein
tropisches Tief zusammen, hat bestimmt bald einen Namen.«

 
Kapitel 38
     
21. August – Lee Stocking Island, Bahamas
     
    Im strahlenden Licht des späten Vormittags ging ich zu dem
weißen Sandstrand hinunter. Eine angenehm kühle, feuchte
Brise zupfte an meinen Haaren und dem frischen weißen Hemd.
Eine riesige graue Wolkenbank türmte sich im Osten wie eine
Mauer über dem Ozean, auch der Wind blies aus Ost.
    Im Hotel-Restaurant des kleinen Ortes hatte ich ein leichtes
Frühstück zu mir genommen, es mit heißem Kaffee
hinuntergespült und mich dann nach dem Anwesen von Dr. Goncourt
erkundigt. Die Angestellten kannten es alle. Es sei ungefähr
eine Meile entfernt, hatte mich ein Hotelpage aufgeklärt, die
geteerte Straße zur Ostküste von Lee Stocking Island
entlang und dann durch ein privates Tor, das immer offen stehe.
    Ich konnte tun und lassen, was ich wollte: die Insel verlassen
– die Männer in Grau hatten mich mit mehreren Tausend
Dollar in der Tasche abgesetzt – oder bleiben und die Einladung
annehmen. Offenbar stellte ich keine Bedrohung mehr dar.
    Dr. Goncourts Anwesen war auf der ganzen Insel dafür bekannt,
dass es den einzigen privaten Strand mit eigenen Stromatoliten
besaß. Stromatoliten waren eine der größten
Attraktionen, die Lee Stocking Island zu bieten hatte.
    Das Haus selbst war nur von mittlerer Größe, aus Holz
auf Betonfundamenten gebaut und mit großen Fenstern samt
hölzernen Fensterläden ausgestattet, die
größtenteils offen standen. Es lag versteckt im Schatten
rauschender Palmen. Ich machte einen Bogen um das Haus und ging, wie
man mir geraten hatte, direkt zum Strand hinunter. Es war zehn Uhr
morgens.
    Eine blonde Frau im Badeanzug, die ein leichtes
türkisfarbenes Tuch über ihre Beine gebreitet hatte,
saß in einem Liegestuhl jenseits des Treibholzes und Seetangs,
die das Hochwasser hinterlassen hatte. Ein Sonnenhut verbarg ihr
Gesicht. Als ich mich näherte, hörte sie das Klatschen
meiner Sandalen, schirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab
und drehte sich im Liegestuhl zur Seite, um sich umzusehen. Ohne eine
Spur von Verlegenheit stand sie auf, um mich zu
begrüßen.
    »Hallo, Hal«, sagte sie.
    »Hallo, Lissa«, erwiderte ich.
»Überrascht?«
    »Nein, sollte ich es sein?«
    »Du hast schließlich dein Bestes getan, um mich
umzubringen.«
    »Mein Bestes wohl kaum«, bemerkte sie trocken.
»Aber das ist ja alles Schnee von gestern. Du hast einen
gewissen Wunsch geäußert, Dr. Goncourt erwartet dich. Ich
bezweifle, dass du bleiben willst, um ein bisschen mit mir zu
plaudern.«
    »Ich habe in letzter Zeit viel an dich gedacht.«
    »Ich habe in letzter Zeit überhaupt nicht an dich
gedacht«, gab sie zurück.
    »Rob hätte seinen Spaß daran gehabt, das hier zu
sehen«, sagte ich.
    »Wie aufmerksam von dir, an deinen Bruder zu
denken.«
    »Wir beide haben wegen dir eine Menge Unannehmlichkeiten
gehabt. Ich hab gehört, jemand anderer nimmt nach all den Jahren
Golochows Platz ein.«
    »Dr. Goncourt. Ja.«
    »Überwachst du ihn oder bist du zu seinem Schutz
hier?«
    »Er hat nicht mehr lange zu leben. Wir sind zu dem Schluss
gekommen, dass es das Beste ist, ihm seine Würde nicht zu nehmen
und ihn – so weit weg wie möglich von dem ganzen
Schlamassel – weiter arbeiten zu lassen.«
    »Ist jetzt alles zu Ende? Die Manipulation von Menschen, das
Markieren, die Kuriere? Die Regierung schüttelt sich jetzt wie
eine große Dogge und wirft alles ab, glaubst du nicht
auch?«
    »Natürlich, Hal«, sagte sie, als würde sie
einem Kind seinen Willen lassen.
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