Ist Schon in Ordnung
Beine reibe, kommt es mir vor, als würde ich mich an einem Stein scheuern, und dann überlege ich, was diese Hände mit Ritas Haut machen könnten oder auch mit Frau Karlsens, und ich finde klebriges Zeug im Schrank meiner Mutter und reibe mich damit ein. Und trotzdem bleibt die Veränderung aus, auf die ich gewartet habe.
Ich liege im Bett unter der Decke, nur die Nase schaut heraus, und sehe Eisblumen an den alten Fenstern. Wir hätten sie eigentlich gegen einen neuen Fenstertyp eintauschen sollen, den man mit einem Griff kippen kann, aber meine Mutter wollte das Geld dafür nicht ausgeben und hat sich mit den Nachbarn angelegt, die der Meinung waren, dassder Block jetzt hässlich und unsymmetrisch aussieht. Noch bevor ich ans Aufstehen gedacht habe, klingelt das Telefon. Ich bleibe liegen und warte darauf, dass meine Mutter rangeht. Das tut sie nicht. In der Wohnung ist es ganz still, nur das Telefonklingeln ist zu hören, das die Treppe herauf in mein Zimmer dringt. Hätte ich gestern Abend daran gedacht, die Tür zu schließen, hätte ich es vielleicht nicht gehört, aber jetzt ist es zu spät.
Ich will nicht, aber ich muss. Ich boxe mit der Faust ins Kissen, schlage die Decke zur Seite, springe aus dem Bett, laufe nur in Unterhose die Treppe hinunter und denke, wenn ich jetzt abnehme, hört es bestimmt auf. Aber es klingelt weiter, und ich reiße den Hörer herunter und rufe in die Muschel:
»Ja, hallo, was ist denn los?«
»Huch, hast du einen Kater? Hier ist Arvid.« Ich friere, stelle einen Fuß auf den anderen und versuche, mich so klein wie möglich zu machen, aber ich bin eins achtundsiebzig und fast nackt.
»Verdammt, weißt du nicht, dass Arbeiter am Wochenende ein Recht auf Ruhe haben? Übrigens, lange nichts gehört.«
»Ebenso. Außerdem sollst du nicht ruhen, du sollst die Zeit nutzen, die du auf Erden hast. Du sollst den Tag und die Stunde nutzen und mit mir auf Skiern in den Wald gehen. Der Schnee ist gut, und ich brauche Luft. Denk dir Schokoriegel und Kakao in Lilloseter oder Sinober.«
Er versucht es immerhin. Ich denke, Scheiße, Arvid, und sage:
»Sinober ist zu weit. Und ich habe meine Skier die letzten zwei Jahre nicht benutzt. Ich weiß nicht mal, wo sie sind. Ist es nicht fürchterlich kalt?«
»Denk an Ingstad in der Tundra. Er musste seine Hunde morgens über dem Feuer auftauen. Das war kalt. Minus fünfzehn Grad ist die reinste Sauna dagegen. Such deine Skier, du hast sie im Keller, das weiß ich. Wir sehen uns beim Militärplatz in gut einer Stunde. Und grünes Swix ist heute gut. Tschüss.«
Er legt auf, und es wird still, und ich stehe da und lausche. Wo ist meine Mutter? Ich gehe nach oben und klopfe an die Schlafzimmertür, und als sie keine Antwort gibt, mache ich die Tür auf. Das Zimmer ist leer, das Bett ist gemacht. Ich sehe auf die Uhr. Es ist erst neun, und es ist Sonntag, da klingelt das Telefon noch einmal. Ich habe immer noch keine Kleider am Leib, in allen Zimmern ist es kalt, und ich fluche und muss noch einmal nach unten.
Es ist Kari.
»Ist Mama da?« Sie sagt Mama .
»Nein, ich weiß auch gar nicht, wo sie ist. Ich bin gerade aufgestanden. Das Telefon klingelt die ganze Zeit, und ich stehe hier splitternackt und friere mir einen ab.«
»Audun?«
»Ja?«
»Ich will heim, Audun. Ich will an Weihnachten nicht hier sein. Ich will heim.« Das Letzte flüstert sie. »Ich glaube, ich muss auflegen«, sagt sie schnell, und dann ertönt der Summton. Ich stehe da, den Hörer in der Hand, und lausche, aber es ist nur ein Heulton zu hören.
»Kari?«, sage ich, bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, dann lege ich den Hörer auf, gehe nach oben in mein Zimmer und suche nach Klamotten, finde einen dicken Pullover und ganz hinten im Schrank ein paar alte Kniebundhosen und rote Kniestrümpfe. Ich gehe in die Küche und setze Kaffeewasser auf. Wo habe ich zuletzt Skiwachs gesehen?Ich gehe zum Küchenschrank und ziehe die Schublade unter dem Besteck heraus, und dort liegt es: rotes, blaues und grünes Swix. Auf dem Land haben wir immer im Brennholzkasten gesucht, wenn etwas verschwunden war, hier ist es die Schublade unter dem Besteck, in dem jeglicher Kleinkram irgendwann landet. Die Skier stehen auf dem Fluchtbalkon vor dem Küchenfenster, das fällt mir jetzt wieder ein, dort stehen sie schon seit zwei Jahren. Ich nehme die kleine Dose mit dem grünen Swix heraus, wiege sie in der Hand, dann fällt mein Blick auf das Foto von Kari mit dem Baby, das an der
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