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Isolation

Isolation

Titel: Isolation
Autoren: Dan Wells
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Chinesisch nannten. Anscheinend gab es für jeden Begriff mehr als ein Wort, und die Spionagemädchen waren die Einzigen, die diese zusätzlichen Wörter lernten. Auch das fand Heron irgendwie ungerecht, aber da sie in diesem Fall bevorzugt wurde, wollte sie gewiss nicht protestieren. Soweit es sie selbst betraf, fand sie es umso besser, je mehr sie wusste.
    »Und noch einmal!«, rief der Ausbilder. »Noch ein Wettlauf, und dann geht’s zum Krafttraining. Aufstehen und los!« Heron war müde. Sie waren auf die eine oder andere Weise schon fast eine Stunde gelaufen, und die Aussicht, danach eine weitere Stunde auf einer Maschine beim Krafttraining zu verbringen, klang nicht gerade verheißungsvoll. Sie wusste, dass die anderen das Gleiche dachten. Die Erschöpfung war über den Link fast körperlich spürbar. Sie hätte sich gern einfach hingesetzt und die anderen Partials allein laufen lassen.
    Dann fiel ihr ein, dass genau das passieren würde, wenn sie nicht aufstand.
    »Los!«, rief der Ausbilder, und die Reihe der Partials schleppte sich zur anderen Seite des Raums zurück. Sie waren am selben Tag wie Heron aus den Bruttanks gekommen und sahen nach zwei Wochen Training immer noch merkwürdig aus – die Beine bestanden nur aus Haut und Knochen, die Muskeln waren nach Monaten der Untätigkeit in den Tanks nahezu verkümmert. Die Ausbilder versicherten ihnen, das werde sich bessern, und es sei beeindruckend, dass sie nur zwei Wochen nach ihrer Geburt überhaupt schon gehen konnten, aber Heron war nicht beeindruckt. Wenn sie selbst so schrecklich aussah wie die anderen, dann war sie froh, wenn sie nicht gehen musste.
    Ein anderer Partial, ein Soldat namens Grant, bemerkte, dass sie nicht aufgestanden war, und hielt inne. Die anderen bewegten sich noch fünfzehn Schritte weiter, ehe der Ausbilder zur Trillerpfeife griff. »Halt!«, rief er. »Alle anhalten. Heron, Grant, warum lauft ihr nicht?«
    Grant schwieg und starrte zu Boden. Heron dachte kurz nach und wog ihre Worte sorgfältig ab, ehe sie antwortete. Schließlich konnte auch sie erst seit zwei Wochen sprechen. Ihr Vokabular war begrenzt und die Aussprache noch nicht besonders gut. »Ich will nicht.« Es klang leise und lispelnd, weil ihr Mund nicht daran gewöhnt war, diese Laute zu formen.
    Der Ausbilder riss die Augen auf. »Wie bitte?«
    Heron dachte über ihre Aussage nach und war sicher, dass sie es richtig hervorgebracht hatte. Oder hatte sie etwas falsch betont? Sie versuchte es noch einmal und sprach so deutlich wie möglich. »Ich will nicht.«
    »Soldat, das zu entscheiden liegt nicht bei dir.«
    »Ich bin kein Soldat«, erwiderte sie. »Ich bin bei der Spionage.« Es war eins der schwierigeren Wörter, die sie gelernt hatte, und sie freute sich, wie gut sie es aussprach.
    »Ihr seid alle Soldaten.« Der Ausbilder kam langsam auf sie zu. »Gleichgültig, welche Rolle ihr auf dem Schlachtfeld spielt, ihr seid alle Soldaten und gehorcht mir. Ich bin euer Vorgesetzter.« Er blieb vor ihr stehen. »Was tun wir, wenn ein Vorgesetzter etwas verlangt, Heron?«
    Wie alle Ausbilder konnte sie auch ihn nicht über den Link lesen – dies war nur bei Partials möglich. Die Ausbilder waren sogenannte Menschen. Heron wusste nur, dass sie in fast allem besser waren: Sie konnten gehen, rennen und waren stärker, sie wussten mehr, und vor allem konnten sie ihre Emotionen vor dem Link verbergen. Man wusste nie, was sie dachten und was sie als Nächstes tun würden. Die anderen Partials sahen ängstlich zu und fragten sich, was gleich geschehen würde. Über den Link traf sie die geballte Furcht der anderen mit voller Wucht. Sie antwortete behutsam.
    »Wir gehorchen unseren Vorgesetzten.«
    »Ganz genau«, bestätigte der Ausbilder. »Ihr gehorcht – das ist das Allererste, was ihr an dem Tag gelernt habt, als ihr aus den Bruttanks gekrochen seid. Ihr gehorcht den Vorgesetzten nicht nur dann, wenn es euch gefällt, sondern immer und ohne jede Frage. Ihr gehorcht sofort und ohne Widerrede, und wenn ich euch sage, dass ihr aufstehen sollt, dann steht ihr auf. Heron, steh auf!«
    Sie dachte daran, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, aber er hatte natürlich recht. Er war ihr Vorgesetzter, und sie musste gehorchen. Sie stand auf.
    »Sehr gut«, lobte sie der Ausbilder. »Jetzt werdet ihr etwas für mich demonstrieren. Grant, komm her!«
    Grant humpelte auf die Gruppe zu. Der Ausbilder wandte sich ihnen mit lauter Stimme zu. »Der Link, der euch verbindet, kann auch von
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