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Ismaels fliegende Wale

Ismaels fliegende Wale

Titel: Ismaels fliegende Wale
Autoren: Philip Jose Farmer
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Verdunstung der Zeit?
    Ismael war ein niedriges Besatzungsmitglied auf einem Walfänger gewesen, aber das hieß nicht, daß er nur ein einfacher Seemann gewesen war. Zwischen den Reisen hatte er sich als Schullehrer betätigt, und er hatte – egal wo er sich auch aufhielt – viel und eingehend gelesen. Er war also mit der Theorie vertraut, daß die Sonne eines Tages, irgendwann, sei es in Millionen oder Milliarden Jahren, von heute (oder besser: von damals) aus gerechnet, sich von einem weißglühenden zu einem lauwarm-roten Stern abkühlen und schließlich zu kalter, dunkler Schlacke werden würde. Der natürliche Verlust orbitaler Energie würde die Erde näher an die Sonne heranführen. Und der Mond würde näher und näher auf die Erde zukommen, bis die wechselseitige Anziehungskraft stieg und beide Himmelskörper in Stücke riß.
    Eine andere Theorie behauptete, daß die Gezeitenspannung des Mondes und der Erde die beiden Körper immer weiter und weiter auseinanderdividieren würde. Diese Theorie mußte – laut den Aussagen des Graubarts, der sie entwickelt hatte – die richtige sein, und er hatte versucht, sie aufgrund von Berechnungen zu „beweisen“. Aber offenbar verstand er nichts von Mathematik oder etwas anderes war eingetreten und hatte den natürlichen Ablauf der Ereignisse durcheinandergebracht. Vielleicht hatte der Mensch während seiner langen Geschichte inzwischen Kräfte erreicht, die ihn dazu befähigt hatten, selbst mit dermaßen unberechenbaren Phänomenen wie Planetenkreisläufen fertig zu werden.
    Befand er sich wirklich auf einer Erde der fernen Zukunft? War die Rahel durch eine zeitweilig schwache Stelle im Gewebe der Zeit gesegelt, oder hatte sie ein kosmisches Tor durchfahren, das sich ähnlich wie eine Schleuse geöffnet hatte, um das Schiff zu verschlingen?
    Ismael war sicher, sich auf dem Boden des ausgetrockneten Südpazifiks zu befinden. Die tote See schien alles zu sein, was von dem einst grenzenlosen Gewässer übriggeblieben war. Und die zitternde und vibrierende Erde war keine passende Umgebung für die meisten Lebensformen. Die meisten Tiere hatten den Boden verlassen, und nun erfüllten sie in den unterschiedlichsten Arten fliegend die Luft.
    Anstatt sich anhand dieser Theorie noch einsamer und ausgestoßener vorzukommen, fühlte Ismael sich eher beherzt. Ein Mann ohne Theorie oder Dogma ist ein Schiff ohne Ruder und Segel. Aber derjenige, der eine Theorie, einen Glauben oder sonst etwas hat, woran er einen Halt finden und gegen den Wind segeln kann, kann die härtesten Stürme durchfahren und allen Untiefen entgehen.
    Daß er sich auf der Erde und nicht auf einem anderen Planeten jener Sterne, die von ihr so weit entfernt waren, daß man sie mit bloßem Auge nicht erkannte, sein sollte, ermutigte ihn. Es war zwar nicht jene Erde, die er kannte, und wenn man ihm die Wahl gelassen hätte, wäre er sicher lieber in der Zeit zurück- als vorwärtsgereist, aber er war nun einmal hier. Er hatte – ausgenommen den Planeten selbst – während der letzten Jahre keine Heimat gehabt. Und wenn er versucht hatte, auf der Back eines Walfängers oder unter den Menschenfressern von Typee unterzukommen, konnte er sich ebensogut hier ein Heim einrichten.
    Ismael kletterte freudig erregt hinab und kroch in die dem Mädchen nächstliegende Blatthängematte. Sie hob den Kopf, sah ihn an, wandte sich dann jedoch wieder um und begann einzuschlafen. Über ihnen breiteten sich genügend andere Blätter aus, die sie vor den Blicken der Lufthaie bewahren würden, aber was war mit den großen Küchenschaben – Ismael tastete nach seinem leicht verletzten Ohr –, und wer wußte schon, ob es hier noch größere und furchterregendere Raubtiere gab?
    Was ist mit ihnen, dachte er und schlief auch schon ein. Nach dem Erwachen trank er wieder Wasser aus einem der Stengel, die das Mädchen bereits vorher gerupft hatte. Die Sonne hatte jetzt nur noch ein Achtel der Himmelsstrecke zurückzulegen. Die Hitze war stark angestiegen. Der Mond hatte sich wie der Ball eines Riesen über den östlichen Horizont hinweggerollt. Mit der Geschwindigkeit, die er vorlegte, würde er die Sonne noch einmal überholen und möglicherweise mit ihr zusammen hinter dem Horizont verschwinden.
    Das Mädchen gab ihm ein Zeichen. Ismael folgte ihr. Sie krabbelten über den Boden und drückten Pflanzen beiseite, bis sie ein Frühstück fanden. Dabei handelte es sich um ein gelähmtes Tier, das möglicherweise ein Nachfahre jener
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