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Isabelle

Isabelle

Titel: Isabelle
Autoren: Felix Thijssen
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schien heller als im Herbst, weil die Weinranken über dem Fenster ihre Blätter dem Winter geopfert hatten.
    »Hatte Didier bereits ein Testament gemacht?«, fragte Max.
    »Hören Sie …« Der Notar zögerte und beschloss dann offensichtlich, dass er mit dieser Information keinen Schaden anrichten konnte. »Nein, es gibt kein Testament, Didier war noch nicht dazu gekommen, nach all den Scherereien. Ich glaube, er hatte es nicht eilig damit, weil er wahrscheinlich vorher noch etwas an dem bestehenden Zustand ändern wollte.«
    »An welchem bestehenden Zustand?«
    »Dem Ehevertrag mit seiner Frau. Dieser tritt jetzt automatisch in Kraft. Da die beiden keine Kinder hatten, fällt der gesamte Besitz an Christine.«
    »Sie meinen das Drittel, das Didier von Raymond erbte.«
    Auf der Stirn des Notars bildete sich eine Falte. »Pardon?«
    »Das Testament von Raymond ist doch noch gültig?«
    Longueteau schwieg einen Moment lang. »Ja, das ist es.«
    »Ganz offiziell?«
    Der Notar stützte die Ellbogen auf seinen Schreibtisch und verschränkte die Finger. »Als sich herausstellte, dass es keine weiteren Erben mehr gab, hat Didier das Testament nicht länger angefochten. Er wollte so schnell wie möglich über sein Erbe verfügen können, und es war dann ja auch egal. Das Testament von Raymond wurde vor zwei Monaten von einem Richter offiziell für rechtsgültig erklärt.«
    Max legte seine Hände auf die Knie. »Das ist alles, was ich wissen wollte, maître«, sagte er. »Das letzte Testa ment von Raymond Lafont ist also das einzig rechtsgülti ge. Der Besitz sollte zu gleichen Teilen auf seine Kinder übergehen, auf seinen Sohn Didier sowie seinen Sohn Alex und seine Tochter Amanda aus erster Ehe mit der Niederländerin Mechthild Mertens.«
    »Das stimmt, aber wie wir wissen …«
    Max hob die Hand. »Haben Sie bitte noch einen Au genblick Geduld mit mir. Was wäre, wenn eines der nie derländischen Kinder noch gelebt hätte?«
    Der Notar blickte ihn unwillig an. »Da im Testament von gleichen Teilen die Rede ist, hätte dieses Kind die Hälfte bekommen.«
    »Gilt das auch für die Nachkommen dieses Kindes?«
    »Nur in direkter Linie.«
    »Sie meinen also, es müsste der Nachkomme eines legitimen Kindes von Raymond Lafont sein und nicht eine entfernte Nichte oder eine wohltätige Stiftung?«
    Aus den Augen von Longueteau sprach eine gewisse Beunruhigung. »Richtig, aber Alex und Amanda sind tot und hatten keine Kinder.«
    »Amanda hatte eine Tochter«, sagte Max.
    Der Notar starrte ihn ungläubig an. »Das ging aber aus dem Nachforschungsbericht nicht hervor!«
    »Haben Sie die Erklärungen aus den Niederlanden noch?«
    »Ja, natürlich, aber …«Er drehte den Kopf hin und her, als summe eine lästige Fliege um ihn herum.
    »Ich glaube, es ist auch in Ihrem Interesse, wenn die Sache so schnell wie möglich geklärt wird«, sagte Max. »Es würde ein ziemlich schlechtes Licht auf Sie werfen, wenn bekannt würde, dass Ihre Kanzlei den Weg für den rechtmäßigen Erben blockiert …«
    »Sie brauchen mich nicht auf meine Pflichten hinzu weisen«, unterbrach ihn Longueteau pikiert.
    »Es tut mir Leid. Wegen dieses Nachlasses wurde be reits ein Mord verübt, und ich …«
    »Das können Sie nicht beweisen.«
    »Doch, das kann ich allerdings«, erwiderte Max. »Und jetzt langt’s mir einfach. Ich weiß, dass Sie nichts damit zu tun haben, aber es reicht auch schon, dass Sie sich so stark auf die Belange Ihres Mandanten konzentriert ha ben. Sie haben das Material nicht sorgfältig genug stu diert, und so konnte man Sie wunderbar zum Narren halten.«
    Der Notar schien zwischen Wut und Frustration zu schwanken. »Können Sie die Existenz dieser Tochter beweisen?«, fragte er.
    »Natürlich. Sie wird, falls es nötig sein sollte, einen Rechtsanwalt einschalten, aber im Augenblick vertrete ich sie. Sobald ich zurück bin, schicke ich Ihnen eine Geburtsurkunde zu und anbei alle Unterlagen, die Sie sonst noch brauchen.«
    Der Notar stand auf, öffnete einen seiner antiken Schränke und zog eine Mappe hervor, die er vor Max auf den Schreibtisch fallen ließ. »Zum Narren gehalten?«
    Max öffnete die Mappe. Berichte von De Canter, Erklärungen der Justizbehörden, von Gerben Hinstra, dem Waisenhaus, sämtlich mit angehefteten, offiziell beglaubigten und gestempelten französischen Übersetzungen. Maran Mertens wurde jedoch mit keinem Wort an irgendeiner Stelle erwähnt, und als Sterbeort von Amanda wurde Culemborg angegeben. Er zog
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