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Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle

Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle

Titel: Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
Autoren: Mikka Bender
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einem riesigen Raum mit offener Feuerstelle und Panoramafenstern in Richtung – na klar, zum höchsten Gipfel. Die Ausstattung der Zimmer war gewöhnungsbedürftig, ohne Heizung und Strom. Stattdessen gab es aber eine Badewanne sowie neben jedem Bett eine Sauerstoffanlage mit Atemmaske. Nie haben sich mir Sinn und Zweck der Badewanne erschlossen. Wer badete schon gern in kaltem Wasser? 240 Dollar musste man für diesen Komfort bezahlen, pro Person und Nacht. Wobei von Nacht eigentlich nie die Rede sein konnte. Es war zwar ziemlich lange dunkel in dieser Gegend, aber an Schlaf war kaum zu denken. Der Kopfschmerz bekam in der Finsternis nämlich einen guten Freund: das Herzrasen.
    Doch bevor wir an die Nacht dachten, standen wir ehrfurchtsvoll vor der großen Panoramascheibe. Der Everest lag vor uns in der roten Abendsonne, das Aspirin im Glas und das Yaksteak in der Pfanne. Ich hatte heute zehn Stretchhosen glücklich gemacht, und wenn ich die Souvenirs mit einrechne, sogar überglücklich. Lehrer Hartmut brachte die allgemeine Gemütslage auf den Punkt: «Ich hatte wirklich hohe Erwartungen, aber dieses Bergpanorama übertrifft sie bei weitem, das ist einfach nur großartig.»
    Das Everest-View-Hotel war eigentlich eine Unterkunft, die von Japanern favorisiert wurde. Wenn Mitteleuropäer bergverrückt sind, dann sind Japaner bergversessen, obwohl sie absolut keine Höhe vertragen. Und trinken sie dann noch Alkohol, fallen sie sofort tot um. Was helfen ihnen da noch Sushi und Karaoke? An diesem Abend aber waren die Deutschen deutlich in der Überzahl. Nur ein japanisches Ehepaar zerrte noch mit uns am Yaksteak, das wir gemeinsam andächtig mit Blick auf Gebirgsspalten verspeisten: Herr und Frau Kawasaki. Herr Kawasaki wollte Frau Kawasaki den Everest zeigen, deshalb waren sie – wenig erstaunlich – hier. Sie waren jenseits der fünfundsechzig und damit älter als meine Gruppenteilnehmer. Eigentlich sahen sie genauso aus wie Japaner vor dem Kölner Dom.
    Nach dem Essen saßen wir im Kreis um den großen offenen Kamin, der den gesamten zentralen Hotelbereich mit einheizen sollte. Das schaffte der jedoch nicht, und das lag nicht nur am nassen Holz. Wir krochen so nah wir konnten ans Feuer heran, Handschuhe an den Händen, Decken auf den Knien und Mützen auf den Köpfen. Die beiden Österreicher, Anton und Hans, konnten die Höhe am besten ertragen. Regelmäßig, so berichteten sie, seien sie in den Alpen in Höhen über 4000 Meter unterwegs, und schon im Flieger nach Kathmandu hatten sie von ihren früheren Erfahrungen im westlichen Himalaya, rund um den Dhaulagiri, erzählt. Die zwei waren hagere und zähe Burschen, die ihre Berggeschichten glaubhaft zum Besten geben konnten. Bei den anderen ging ich davon aus, dass sie hohe Berge eher vom Hören als vom Sehen her kannten. Sie hatten zwar ordentliche Bergschuhe an den Füßen, aber die sahen verdächtig neu aus. Auch an der restlichen Ausrüstung war kein Schweiß- oder Schmutzfleck zu entdecken. Hans, der doch nicht Lehrer, sondern Ingenieur war, wie sich nun herausstellte, wollte von Herrn Kawasaki wissen, ob er vielleicht der Erfinder oder Erbauer des Kawasaki-Motorrads sei.
    Herr Kawasaki sprach sehr wenig Englisch, dementsprechend zäh gestaltete sich die erste Kontaktaufnahme. Die Lehrer waren ganz Ohr, aber Japanisch konnten sie auch nicht, um die Diskussion zu befeuern.
    «Gehört Ihnen Kawasaki?» Hans versuchte es erneut.
    «Ich heiße Kawasaki, ja genau.» Die Antwort von Herrn Kawasaki war dann doch verblüffend.
    «Aber gehören Ihnen auch die Motorräder?»
    «Ich habe ein Auto, einen Toyota, ja, genau», konterte Herr Kawasaki.
    Jetzt wandte sich Hans an mich und fragte, wie aus dem Nichts heraus, ob das Wort «Witwenmacher» im Englischen «widowmaker» heiße.
    Was für eine bescheuerte Frage, dachte ich, zumal ich die Antwort nicht wusste. Aus «Witwenmacher» einfach «widowmaker» zu machen erschien mir zweifelhaft, aber eine bessere Alternative fiel mir aus dem Stegreif auch nicht ein.
    Hans ging jetzt aufs Ganze. Er drehte sich wieder zu Herrn Kawasaki: «Kennen Sie die ‹Witwenmacher›? Die Maschine 500 H1?»
    Herr Kawasaki schaute fassungslos, ein Restlächeln blieb aber erkennbar auf seinem Gesicht, als er antwortete: «Ich bin kein Witwer, da sitzt meine Frau.»
    Da hatte er recht. Frau Kawasaki konnte ihre Meinung leider nicht dazugeben, sie sprach nicht ein einziges Wort Englisch. Dafür konnte sie sich bei jeder Gelegenheit
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