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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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einen ?« fragte er traurig.
    »Ja«, sagte ich, »Hitler war...«
    »Hör auf«, sagte Padraic , »hör bitte auf, der Nerv liegt ganz bloß .«
    »Schön«, sagte ich, »dann wird er bald tot sein, trinken wir also noch einen .«
    »Bist du denn nie traurig, wenn dir ein Zahn gezogen worden ist ?« fragte Padraic müde.
    »Im ersten Augenblick ja«, sagte ich, »aber nachher bin ich froh, wenn’s nicht mehr eitert .«
    »Es ist nur so dumm«, sagte Padraic , »weil ich jetzt gar nicht mehr weiß, warum ich die Deutschen so gern habe .«
    »Du mußt sie«, sagte ich leise, »nicht wegen, sondern trotz Hitler gern haben. Nichts ist peinlicher, als wenn jemand seine Sympathie für dich aus Quellen speist, die dir verdächtig sind; wenn dein Großvater ein Einbrecher war, und du lernst jemand kennen, der dich furchtbar nett findet, weil dein Großvater ein Einbrecher war, so ist das peinlich; andere wieder finden dich nett, weil du kein Einbrecher bist, aber du möchtest, daß sie dich nett fänden, auch wenn du ein Einbrecher wärst.«
    Das achte Glas Bier kam: Henry hatte es kommen lassen, ein Engländer, der hier jedes Jahr seinen Urlaub verbrachte.
    Er setzte sich zu uns und schüttelte resigniert den Kopf: »Ich weiß nicht«, sagte er, »warum ich jedes Jahr wieder nach Irland fahre; ich weiß nicht, wie oft ich es ihnen schon gesagt habe, daß ich weder Pembroke noch Cromwell je gemocht habe noch verwandt mit ihnen bin, daß ich nichts bin als ein Londoner Büroangestellter, der vierzehn Tage Urlaub hat und an die See fahren will: ich weiß nicht, warum ich den weiten Weg von London hierher jedes Jahr mache, um mir erzählen zu lassen, wie nett ich bin, wie schrecklich aber die Engländer sind: es ist so ermüdend. Über Hitler«, sagte Henry...
    »Bitte«, sagte Padraic , »sprich nicht von dem: ich kann den Namen nicht mehr hören. Jetzt jedenfalls nicht, vielleicht später wieder...«
    »Gut«, sagte Henry zu mir, »du scheinst gut gearbeitet zu haben .«
    »Man hat so seinen Ehrgeiz«, sagte ich bescheiden, »und ich bin nun mal dran gewöhnt, jeden Abend irgend jemand einen bestimmten Zahn zu ziehen: ich weiß schon genau, wo er sitzt; ich kenne mich allmählich aus in der politischen Dentologie, und ich mache es gründlich und ohne Betäubungsmittel.«
    »Weiß Gott«, sagte Padraic , »aber sind wir nicht trotz allem reizende Leute ?«
    »Das seid ihr«, sagten wir alle drei, wie aus einem Mund: meine Frau, Henry und ich, »ihr seid wirklich reizend, aber ihr wißt es auch ganz genau .«
    »Trinken wir noch einen«, sagte Padraic , »als Nachtmütze !«
    »Und einen für den Weg!«
    »Und einen für die Katz«, sagte ich.
    »Und einen für den Hund!«
    Wir tranken, und immer noch standen die Uhrzeiger, wie sie schon seit drei Wochen standen: auf halb elf. Und sie würden noch vier Monate lang auf halb elf stehen. Halb elf ist die Polizeistunde für ländliche Kneipen in der Sommerzeit, aber die Touristen, die Fremden liberalisieren die starre Zeit. Wenn der Sommer kommt, suchen die Wirte ihren Schraubenzieher, ein paar Schrauben und fixieren die beiden Zeiger; manche auch kaufen sich Spielzeuguhren mit hölzernen Zeigern, die man festnageln kann. So steht die Zeit still, und Ströme dunklen Biers fließen den ganzen Sommer hindurch, Tag und Nacht, während die Polizisten den Schlaf der Gerechten schlafen.

7 Porträt einer irischen Stadt
    Limerick am Morgen
    Limericks nennt man bestimmte Gedichte, die fast wie verschlüsselte Witze sind, und von der Stadt Limerick, die diesem Gedichttyp den Namen gegeben, von dieser Stadt hatte ich eine heitere Vorstellung: witzige Schüttelverse, lachende Mädchen, viel Dudelsackmusik, klingende Fröhlichkeit durch alle Straßen hin. Fröhlichkeit begegnete uns schon viel zwischen Dublin und Limerick auf den Landstraßen: Schulkinder jeden Alters trotteten heiter — manche barfuß — durch den Oktoberregen; sie kamen aus Nebenstraßen, man sah sie fern zwischen Hecken über schlammige Pfade herankommen; unzählige, die sich sammelten, wie Tropfen sich zu einem Rinnsal, Rinnsale sich zu Bächen, Bäche sich zu kleinen Flüssen sammeln — und manchmal fuhr das Auto durch sie hindurch wie durch einen Strom, der sich bereitwillig teilte. Für Minuten blieb die Landstraße leer, wenn das Auto gerade einen größeren Ort passiert hatte, und wieder sammelten sich die Tropfen: irische Schulkinder, sich schubsend, sich jagend: abenteuerlich gekleidet oft: bunt und
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