Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein
Autoren: Jane Hill
Vom Netzwerk:
Überhaupt kein Problem. Ihre Reaktion wunderte ihn.
    »Kann sein, dass Kate vorbeikommt«, fügte Neil noch hinzu. Zu spät fiel ihm ein, dass er damit gegen Susans Bedingung verstieß, das Interview unter vier Augen zu führen. »Sie war heute in Cambridge, aus welchen Gründen auch immer, aber ich kann sie natürlich bitten, woanders zu warten, solange wir das Interview machen.«
    »Cambridge«, wiederholte Susan, die immer noch verwirrend munter klang. »Wie interessant!«
    »Wahrscheinlich haben Sie beide sowieso eine Menge zu bereden. Dann können Sie sich in aller Ruhe aussprechen.«
    »Ja, Sie haben vollkommen recht«, sagte Susan forsch. »Wir müssen uns wirklich aussprechen.«
     
    »Die sind oben in 3C«, sagte der Hausmeister zu Kate, als sie in der Lady Jane Grey ankam. »Die«, dachte sie. Neil musste einen Kameramann oder einen Assistenten dabeihaben. Er hatte ihr erzählt, dass er Steadicam-Aufnahmen plante: langsame Bildläufe durch die leeren Schulkorridore, um die richtige Stimmung einzufangen. »Wie in Shining«, hatte er gesagt. »Bloß unheimlicher.«
    »Wo ist 3C?«
    »Der mittlere Raum im ersten Stock, gleich neben der Treppe zum Musikraum.«
    Er zeigte die Richtung mit dem Ende seines Wischmopps. Auf der Treppe zum ersten Stock hielt Kate sich am Holzgeländer fest, das von Tausenden Teenagerhänden glatt gerieben war. All die alten Erinnerungen kehrten zurück und mit ihnen das Gefühl von Angst und Isolation. Sie hasste diesen Ort, und sie wünschte sich schon, sie hätte zu Hause auf Neil gewartet, um mit ihm zu reden.
    Das Klassenzimmer war leer, allerdings stand dort ein Kamerastativ. Vermutlich wollte Neil hier ein Interview aufzeichnen; fragte sich bloß, mit wem. Kate setzte sich für einen Moment an eines der Schülerpulte, wo sie auf ihn warten wollte. Nur war sie zu rastlos, um ruhig zu sitzen. Sie musste irgendetwas tun, herumwandern und ihre Gedanken ordnen. Und sie wusste, welches der ideale Platz dafür war.
    Hastig stieg sie die Wendeltreppe zum Musikraum hinauf, der früher einmal die Kostümkammer gewesen war. Zu dem Raum, in dem sie sich stundenlang versteckt hatte, den Stoff des Kostüms in den Händen, als wäre er ihr Talisman, der sie schützte. Mit jeder Stufe schwand ihr Mut. Sie wollte nicht hier sein, wollte kehrtmachen und wegrennen. Am liebsten wäre sie für den Rest ihres Lebens gerannt. Sie wollte weder an die Schule denken noch an den grausamen Menschen, zu dem die Schule sie gemacht hatte.
    Trotzdem ging sie schließlich in den Musikraum. Die Bodendielen knarrten unter ihren Schritten. Fast hatte sie damit gerechnet, Neil hier oben vorzufinden, auch wenn sie nicht sagen konnte, wieso. Aber es war niemand da. Und es war kalt hier oben. Kate fröstelte und wickelte Mantel und Schal fester um sich. Warum war es so kalt? Und dann hörte sie es, das Quietschen von Angeln. Die Tür zum Dach, dieselbe Tür, die vor Jahren ihre Fluchtluke gewesen war, bewegte sich halb offen im Wind hin und her.
    Kate stieß sie auf und trat hinaus. In der Dunkelheit konnte sie die Umrisse von Schornsteinen ausmachen. Obgleich es eisig war, tat es gut, hier zu stehen, dem Abendhimmel und den Sternen so nahe. Sie atmete tief ein und erinnerte sich, wie sie sich gefühlt hatte, wenn sie früher hierhergekommen war: eine Empfindung wie - nein, keine Freude; niemals Freude. Freiheit, ja die war es gewesen. Das Dach war der einzige Ort an der Schule gewesen, wo sie frei sein konnte.
    Sie hörte ein Atmen. Es war nicht ihres. Sofort lief ihr ein Schauer über den Rücken, und sie hielt sich an der Mauer fest. Einer der Schornsteine schien sich zu bewegen. Dann tauchte eine große Gestalt aus der Dunkelheit auf: dunkles Haar, dunkle Kleidung, blasses Gesicht. Kate sah nur eine Silhouette, erkannte aber gleich an der aufrechten, selbstbewussten Haltung, wer es war: Susan Sullivan.
    »Hallo, Kathryn«, sagte Susan, deren Stimme so klar, autoritär und selbstzufrieden klang wie eh und je. »Dein Mann will mich interviewen. Er ist nur kurz losgelaufen, um irgendeinen Snack zu holen.« Sie sprach das Wort »Snack« mit Anführungszeichen. »Einen Kebab, schätze ich, bei einem der gruseligen Läden am Bahnhof. Als er mir sagte, dass du vielleicht herkommst, dachte ich mir, ich warte am besten hier auf dich.«
    Kate hielt sich immer noch an der Mauer fest und wartete, dass sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Sie wollte etwas sagen, aber ihr blieben die Worte im Halse stecken. Sie sah,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher