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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen
Autoren: Ian Banks
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unter Schock stehenden Körper Anfälle möglich sind und der Tod eine entfernte Möglichkeit ist.« Sie leckte sich den Finger ab. »Besonders Kinder leiden unter ernsten Nebenwirkungen und bleibenden Schäden, und für sie ist die Anwendung unter keinen Umständen ratsam. Das Gel wird aus den Beeren einer zweijährigen Pflanze hergestellt, die auf abgeschiedenen Halbinseln im Inselgebiet weit nördlich von Drezen wächst. Es ist sehr wertvoll und wird meistens als Lösung angewandt, in welcher Form es ebenfalls sehr zuverlässig und langanhaltend wirkt. Ich habe es gelegentlich benutzt, um den König zu behandeln, und er hält es für eines meiner wirkungsvollsten Präparate. Ich habe nicht mehr viel davon übrig, und ich hätte es vorgezogen, es nicht für jemanden zu verwenden, der ohnehin sterben würde, oder für mich selbst, aber Ihr habt darauf bestanden. Ich bin sicher, der König wird Verständnis dafür haben.« (Ich muß berichten, Meister, daß meines Wissens die Ärztin dieses besondere Gel – von dem sie mehrere Gläser voll besitzt – niemals beim König angewendet hat, und ich bin mir nicht sicher, ob sie es jemals bei der Behandlung eines anderen Patienten eingesetzt hat.) Die Ärztin schloß den Mund, und ich bemerkte, wie sie sich mit der Zunge über den oberen Gaumen fuhr. Dann lächelte sie. »Seid Ihr sicher, daß Ihr nicht auch etwas probieren möchtet?«
    Nolieti sagte eine Zeitlang nichts, und sein breites, dunkles Gesicht bewegte sich, als ob er auf der Zunge herumkaute.
    »Bring diese Hexe aus Drezen raus!« befahl er schließlich Unoure, dann drehte er sich um, um den Tretblasebalg des Kohlebeckens zu betätigen. Das Kohlebecken zischte und glühte gelb und sprühte ein Funkengestöber hinauf in seinen rußigen Kamin. Nolieti betrachtete den Toten in dem Käfigstuhl. »Dann wirf den Kadaver von diesem Dreckschwein ins Säurebad«, raunzte er.
    Wir waren bereits an der Tür, als der Foltermeister, der immer noch den Blasebalg mit regelmäßigen kräftigen Tritten bearbeitete, rief: »Doktor?«
    Sie wandte sich zu ihm um, während Unoure die Tür öffnete und die schwarze Augenbinde aus seiner Schürze angelte. »Ja, Foltermeister?« sagte sie.
    Er sah zu uns herüber und lächelte, während er weiterhin das Kohlebecken anfeuerte. »Ihr seid nicht zum letzten Mal hier, Frau aus Drezen«, sagte er leise. Seine Augen funkelten im gelben Licht des Kohlebeckens. »Und nächstes Mal werdet Ihr nicht fähig sein, diesen Raum auf eigenen Beinen zu verlassen.«
    Die Ärztin hielt seinem Blick geraume Zeit stand, bis sie schließlich die Augen senkte und die Achseln zuckte. »Oder Ihr erscheint in meinem Operationssaal«, erwiderte sie und sah auf. »Und seid meiner besten Aufmerksamkeit versichert.«
    Der Foltermeister wandte sich ab und spuckte in das Kohlebecken, sein Fuß stampfte auf den Blasebalg und hauchte diesem Todesinstrument Leben ein, während wir von dem Gehilfen Unoure durch die niedrige Tür hinausgedrängt wurden.
    Zweihundert Herzschläge später wurden wir von einem Lakaien der königlichen Gemächer an der großen Eisentür, die in den übrigen Palast führte, abgeholt.
     
    »Es ist wieder mal mein Rücken, Vosill«, sagte der König und drehte sich auf seinem ausladenden Himmelbett auf den Bauch, während die Ärztin zuerst ihre Ärmel und dann die Tunika und das Hemd des Königs hochrollte. Wir befanden uns im Hauptschlafgemach von König Quiences Privaträumen, tief im Innern des innersten Vierecks von Efernze, des Winterpalastes von Haspide, der Hauptstadt von Haspidus!
    Dies war für mich zu einer so regelmäßigen Wirkungsstätte geworden, einem so gewohnten Arbeitsplatz, daß ich zugegebenermaßen dazu neige zu vergessen, welche Ehre es bedeutet, bei derartigen Anlässen zugegen zu sein. Manchmal jedoch wird mir bewußt, Große Götter, daß ich – ein Waise, Sproß einer in Ungnade gefallenen Familie – mich in der Gegenwart unseres geliebten Königs befinde! Und das regelmäßig, und in sehr vertraulichen Situationen!
    In solchen Augenblicken, Meister, danke ich Euch von ganzem Herzen, mit aller mir zu Gebote stehenden Inbrunst, denn ich weiß, es waren allein Eure Freundlichkeit, Eure Weisheit und Euer Mitgefühl, die mich in eine derart herausragende Lage gebracht und mich mit einer derart wichtigen Mission betraut haben. Seid versichert, daß ich weiterhin mit aller Kraft versuchen werde, mich dieses Vertrauens als würdig zu erweisen und dieser Aufgabe gerecht
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