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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen
Autoren: Ian Banks
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Ärztin. Sie erhob sich. »Ich bin sicher, es ist gut, daß Euch Eure Arbeit soviel Spaß macht, Erster Folterer«, sagte sie. »Allerdings glaube ich, diesen hier habt Ihr getötet.«
    »Ihr seid die Ärztin, heilt ihn!« sagte Nolieti, wobei er wieder zu ihr trat und den orangeroten Schürhaken schwenkte. Ich glaube nicht, daß er die Absicht hatte, der Ärztin zu drohen, aber ich sah, wie sich ihre rechte Hand langsam zu dem Stiefel senkte, in dessen Schaft ihr alter Dolch steckte.
    Sie sah zu dem Foltermeister auf, vorbei an der glühenden Metallstange. »Ich verabreiche ihm etwas, das ihn vielleicht wieder zum Leben erweckt, aber es kann gut sein, daß er Euch alles gegeben hat, was er jemals zu geben in der Lage ist. Verübelt es ihm nicht, wenn er stirbt.«
    »O doch, das werde ich«, sagte Nolieti ruhig und warf den Schürhaken zurück in das Kohlebecken. Funken flogen auf den Steinboden. »Ihr sorgt dafür, daß er lebt, Frau. Ihr sorgt dafür, daß er reden kann, sonst bekommt der König zu hören, daß Ihr Eure Arbeit nicht ordentlich erledigt habt.«
    »Das wird der König ohnehin hören, zweifellos«, sagte die Ärztin und lächelte mich an. Ich lächelte nervös zurück. »Und auch Wachkommandant Adlain«, fügte sie hinzu, »vielleicht von mir selbst.« Sie drehte den Mann in dem Käfigstuhl wieder in eine aufrechte Stellung und öffnete ein Glasfläschchen in ihrer Tasche, strich mit einem Holzspachtel rund um die Innenwand des Fläschchens, öffnete den blutigen Matsch, der der Mund des Mannes war, und bestrich mit dieser Salbe den Ober- und Unterkiefer des Mannes. Er stöhnte erneut.
    Die Ärztin stand eine Weile da und beobachtete ihn, dann ging sie zu dem Kohlebecken und hielt den Spachtel hinein. Das Holz flammte auf und zischte. Sie sah auf ihre Hände, dann zu Nolieti. »Habt Ihr hier unten Wasser? Ich meine sauberes Wasser.«
    Der Foltermeister nickte Unoure zu, der für ein paar Augenblicke im Dunkeln verschwand, bevor er eine Schale brachte, in der die Ärztin sich die Hände wusch. Sie wischte sie sich an dem Taschentuch, das ihr als Augenbinde gedient hatte, sauber, als der Mann in dem Käfigstuhl einen schrecklichen Todesschrei ausstieß, ein paar Sekunden lang heftig zitterte, sich dann plötzlich versteifte und schließlich erschlaffte. Die Ärztin trat zu ihm und wollte ihm die Hand an den Hals legen, doch sie wurde von Nolieti beiseite gestoßen; dieser stieß ebenfalls einen Schrei aus, wütend und gequält, und streckte die Hand durch die Eisenbänder, um den Finger an die Halsschlagader des Mannes zu legen – von der Ärztin hatte ich gelernt, daß dies die beste Stelle ist, um zu prüfen, ob in einem Menschen noch der Lebenspuls vorhanden ist.
    Der Foltermeister stand bebend da, während sich im Gesicht seines starrenden Gehilfen Begreifen und Entsetzen spiegelten. Die Miene der Ärztin zeigte grimmig-verächtliche Belustigung. Dann fuhr Nolieti herum und stach mit dem Finger in ihre Richtung. »Ihr wart das!« zischte er sie an. »Ihr habt ihn getötet! Ihr wolltet nicht, daß er lebt!«
    Die Ärztin machte ein gleichgültiges Gesicht und fuhr damit fort, sich die Hände abzutrocknen (obwohl es mir so vorkam, als wären sie beide längst trocken – und als ob sie zitterten). »Mein Eid lautet, Leben zu retten, Foltermeister, nicht zu nehmen«, sagte sie kühl. »Das überlasse ich anderen.«
    »Was war in dem Zeug drin?« wollte der Foltermeister wissen, wobei er sich schnell niederkauerte und die Tasche der Ärztin öffnete. Er zog das Fläschchen heraus, dem sie die Salbe entnommen hatte, und hielt es ihr vors Gesicht. »Das hier? Was ist das?«
    »Ein Stimulans«, sagte sie und tauchte einen Finger in das Fläschchen, um eine dünne Schicht des weichen braunen Gels auf ihrer Fingerspitze zu präsentieren, die im Licht des Kohlebeckens glitzerte. »Möchtet Ihr es probieren?« Ihr Finger näherte sich Nolietis Mund.
    Der Foltermeister packte ihre Hand und drückte den Finger gewaltsam zurück, zu ihren Lippen hin. »Nein. Macht Ihr das! Macht das, was Ihr mit ihm gemacht habt.«
    Die Ärztin befreite ihre Hand aus Nolietis Griff und führte ruhig den Finger zu ihrem Mund, wo sie die braune Paste auf ihrem oberen Gaumen verteilte. »Es schmeckt bitter-süß«, sagte sie in demselben Tonfall, den sie gebrauchte, wenn sie mir etwas beibrachte. »Die Wirkung hält zwei bis drei Stunden lang an, und im allgemeinen gibt es keine Nebenwirkung, obwohl bei einem sehr geschwächten und
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