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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit
Autoren: Cordwainer Smith
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sich in die Gedanken von weit entfernt lebenden Personen einzuschalten.
    Er hatte sich bemüht, eine Art von telepathischem Helm zu entwickeln, aber es hatte nicht funktioniert. Dann war er davon abgekommen, reine Gedanken empfangen zu wollen, und hatte sich auf die Anzapfung visueller und akustischer Impulse konzentriert. Dort, wo die Nervenenden in das Gehirn mündeten, war es ihm im Lauf der Jahre geglückt, zahllose Mikrophänomene voneinander zu unterscheiden, und einige davon hatte er genau bestimmen können.
    Durch unbeschreiblich komplexe Messungen war es ihm dann eines Tages gelungen, das Blickfeld ihres zweiten Chauffeurs anzumessen, und dank einer Nadel, die knapp unter seinem rechten Lid angebracht war, »sah« er mit den Augen des anderen Mannes, wie dieser andere Mann völlig arglos in eintausendsechshundert Metern Entfernung ihre Zis-Limousine wusch.
    Cherpas war später in diesem Winter in seine Fußstapfen getreten und hatte eine ganze Familie angezapft, die in einer nahe gelegenen Ortschaft ihr Mittagessen einnahm. Sie hatte B. Gauck angeboten, sich eine Nadel in den Wangenknochen stoßen zu lassen, damit auch er mit den Augen eines arglosen, ausspionierten Fremden sehen konnte. Gauck hatte jegliche Art von Nadeln abgelehnt, doch Gausgofer war dazu bereit gewesen.
    Die Spionagemaschine begann Formen anzunehmen.
    Zwei Probleme blieben noch. Das erste Problem bestand darin, Kontakt mit einem weit entfernten Ziel wie dem Weißen Haus in Washington oder dem NATO-Hauptquartier in Paris aufzunehmen. Die Maschine konnte perfekte Geheimdienstarbeit leisten, indem sie das Bewußtsein von derart weit entfernten Menschen abhörte.
    Das zweite Problem war, eine Methode zu finden, mit der man dieses Bewußtsein über große Entfernung störte und es so verwirrte, daß das Personal in Tränen ausbrach, die Beherrschung oder gar den Verstand verlor.
    Rogow hatte es versucht, aber niemals war er weiter als dreißig Kilometer über die Grenzen der namenlosen Stadt von Ya. Ch. hinausgedrungen.
    Eines Tages im November gab es siebzig Fälle von Hysterie, die zumeist mit Selbstmord endeten, in der Stadt Charkow, die mehrere hundert Kilometer entfernt lag, aber Rogow war nicht sicher, ob seine Maschine dafür verantwortlich war.
    Genossin Gausgofer wagte es, über seinen Ärmel zu streicheln. Ihre blassen Lippen lächelten, und ihre wäßrigen Augen strahlten glücklich, als sie mit ihrer hohen, grausamen Stimme sagte: » Du wirst es schaffen, Genosse. Du wirst es schaffen.«
    Cherpas blickte verächtlich auf. Gauck sagte nichts.
    Der weibliche Agent Gausgofer sah Cherpas Blicke auf sich ruhen, und für einen Moment spannte sich ein Bogen aus purem Haß zwischen den beiden Frauen.
    Die drei kehrten wieder an ihre Arbeit an der Maschine zurück.
    Gauck saß auf seinem Stuhl und beobachte sie.
    Die Männer und Frauen im Laboratorium sprachen nie sehr viel, und Stille erfüllte den Raum.
     
4
     
    Es war in dem Jahr, als Eristratow starb, da gelang ihnen bei der Maschine ein Durchbruch. Eristratow starb, nachdem die Sowjets und die Volksdemokratien versucht hatten, den kalten Krieg mit den Amerikanern zu beenden.
    Es war Mai. Außerhalb des Laboratoriums huschten die Eichhörnchen durch die Bäume. Die Rückstände des nächtlichen Regens tropften auf den Boden und hielten die Erde feucht. Es war angenehm, durch die offenen Fenster den Duft des Waldes in den Arbeitsraum hineinzulassen.
    Der Geruch ihrer ölbefeuerten Öfen und der ranzige Geruch der Isoliermaterialien, des Ozons und der heißen elektronischen Einrichtungen war ihnen nur allzu vertraut.
    Rogow stellte fest, daß seine Sehkraft allmählich nachließ, da er die Empfängernadel nahe seines optischen Nervs hatte anbringen müssen, um visuelle Eindrücke von der Maschine zu erhalten. Nach Monaten des Experimentierens mit tierischen und menschlichen Versuchsobjekten hatte er sich entschlossen, eines ihrer letzten Experimente zu wiederholen, das sie erfolgreich mit einem jugendlichen Gefangenen von fünfzehn Jahren durchgeführt hatten, indem er die Nadel direkt hinter dem Auge anbrachte. Rogow mochte es nicht, Häftlinge einzusetzen, da Gauck aus Sicherheitsgründen immer verlangte, daß ein bei den Experimenten verwendeter Häftling spätestens fünf Tage nach dem Beginn des Versuchs eliminiert werden mußte. Rogow hatte sich selbst eingeredet, daß die Nadeltechnik risikolos war, aber er war es leid, mit furchtsamen, unwissenschaftlichen Personen zu arbeiten
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