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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel
Autoren: Martha Grimes
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Einfahrt entfernt, als sie den Zusammenstoß hörten. Macalvie bremste, und die vier Männer sprangen aus dem Auto.
    Während sie noch liefen, ging der Morris in Flammen auf.
    Mollys Auto war ein Wrack, aber es brannte nicht. Es stand ein Stückchen von dem lichterloh brennenden Morris entfernt.
    Macalvie zog Molly Singer blitzschnell aus dem Schrotthaufen. Blut rann ihr vom Ohr und aus dem Mundwinkel. Macalvie hielt sie im Arm, und sie blickte lächelnd zu ihm auf. «Verdammich. Warum müssen Sie immer recht behalten, Mac –» Das letzte Wort brachte sie nicht zu Ende. Die langen Finger, die seine Schulter umklammerten, glitten so langsam an seinem Mantelärmel herunter, als wollten sie eine Harfe zum Erklingen bringen.
    Macalvie schüttelte sie und schrie: «Mary, Mary!», bis Jury ihn wegzog.
    Melrose Plant zog seinen Mantel aus und legte ihn Mary unter den Kopf.
    Jury deckte sie mit seinem zu. Das auslaufende Benzin vom Morris erreichte den Lamborghini. Jury mußte an das berstende Holzscheit in Molly Singers Cottage denken.

27
    J URY ENTDECKTE SIE SCHLIESSLICH auf dem Rollbrett, unter dem Zimmer. Sie klammerte sich an Henry und wollte um keinen Preis hervorkommen.
    «Bitte, Jessie. Ist ja alles vorbei. Ist ja alles gut.»
    Gut. Es würde nie wieder gut werden, jedenfalls nicht für Divisional Commander Macalvie. Er war im Nebel zwischen den Bäumen verschwunden.
    «Hier ist es besser», sagte Jessie. Schweigen. «Ich will nicht sterben. Und Henry auch nicht.»
    Jury hockte sich auf die kalten Steine des Hofes, ohne seinen Mantel war ihm bitterkalt. Jess fragte: «War Sara der Axtmörder?»
    «Nein. Es gibt gar keinen Axtmörder, Jess. Sara –» Er zögerte, ob er ihr wirklich alles erzählen sollte, aber am besten fuhr man immer mit der Wahrheit: «Sara war krank, sehr krank. Sie hat auch die anderen Kinder umgebracht.»
    «Aber warum wollte sie mich umbringen? War sie bei den anderen auch Gouvernante?»
    «Nein. Nein, das nicht. Und dich wollte sie umbringen, weil sie verstört war. Vor langer Zeit, lange bevor du auf der Welt warst, hat ihr jemand sehr weh getan, und dafür wollte sie sich rächen. Jemand hat ihre Mutter umgebracht. Du weißt ja, wie schlimm es ist ohne Mutter.»
    «Aber das waren doch nicht wir – ich meine, ich, Davey, der andere Junge und das Mädchen! Laß das, Henry. Henry mag hier nicht drunter sein, aber ich habe solche Angst um Henry!»
    Sie weinte, und Jury versuchte, sie zu beruhigen. «Es kann wirklich nichts mehr passieren.»
    «Können Sie Henry ins Auto setzen, da fühlt er sich wohler. Aber daß er ja nicht wegläuft.» Sie sagte das in einem ziemlich scharfen Ton, als ob sie sich versichern wollte, daß Jury auch blieb.
    «Komm, Henry», sagte Jury. Er zerrte den Hund hervor und setzte ihn vorn in den Zimmer. Henry schüttelte sich und blinzelte. Eine neue Welt. Fremd, aber neu. Fremd und neu auch für Jessica Ashcroft.
    «Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Mr. Jury. Wir haben ihre Mutter doch nicht umgebracht!»
    «Ich weiß.»
    «Also?»
    Jury fand, das hörte sich schon besser an. Der gewohnte ungnädige Ton. «Ich erzähle dir jetzt etwas, das nicht leicht zu verstehen ist, Jess. Ich glaube, Sara war deshalb so krank, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie war erst fünf, als ihre Mutter starb. Und sie hat es mit angesehen.» Jury schwieg einen Augenblick. Seine Unterhaltung mit Mrs. Wasserman war ihm eingefallen. Wie gedankenlos er seine Nachbarin gefragt hatte, wen sie mit ihren vielen Schlössern eigentlich aussperren wollte. Ihn. Mrs. Wassermans ganze Ängste kreisten um ein dubioses «Er». Übertragung, oder wie auch immer Psychiater das nennen mochten. «Sara hat, glaube ich, ein furchtbar schlechtes Gewissen gehabt –»
    «O ja. Sie hat gedacht, sie ist daran schuld. Sie hat gedacht, sie hat es getan. Und vielleicht hat sie geglaubt, sie bringt sich selber um, als sie Davey und das Mädchen umgebracht hat.»
    Jury traute seinen Ohren kaum. Jess weinte immer noch. Jury ging auf, daß sie die schönste und liebevollste Frau, die sie sich vorstellen konnte, niemals kennengelernt hatte. Jessica mußte wohl auch Schuldgefühle haben, denn Barbara Allan war kurz nach der Geburt ihrer Tochter gestorben …
    «Wie geht es dem Mann, der mich gerettet hat?»
    «Gut. Gerade ist der Krankenwagen gekommen, der ihn ins Krankenhaus bringt.»
    Sie rollte unter dem Auto hervor und stand auf. Ihr Nachthemd, ihr Gesicht, ihr Haar, alles ölverschmiert und schmutzig.
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