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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel
Autoren: Martha Grimes
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den man unausstehlich finden wollte. Die scheußlichste Klemme, seit sie die Polizei wegen des Axtmörders angerufen hatte. In ihrer Einbildung konnte sie das Blut so deutlich sehen, als sei es tatsächlich die Wände runtergelaufen. Sie schauderte.
    «Was ist?» fragte Sara.
    «Nichts.» Jessie griff nach dem Hochglanzmagazin, das ihr Molly Singer geschenkt hatte. Executive Cars.
    Sara war noch immer bei Heathcliff. «Ich dachte, du findest ihn so romantisch.»
    Romantik? Nein, danke. Da malte sie sich lieber Mörder aus, die ihr (und Henry) im Moor auflauerten. Tiefgrüne Sümpfe mit Lebermoos, wie der Cranmere Pool, Torf und morastiger Boden, in dem man versank, so daß bloß noch der Kopf rausguckte, als hätte man sie geköpft, und dann ein Händchen und Henrys Pfote, die als letztes versanken, während die Umstehenden ihr Seile zuwarfen und nach ihr riefen.
    «Romantik ist doof.»
    Sara gab ihr mit dem Buch einen Klaps. «Wer wollte hier vorgelesen haben.» Auf einmal richtete sich Sara kerzengrade auf. «Was war das?»
    «Was war was?» Jessie sah sich gerade ein Foto von einem Lamborghini an, einem brandneuen Modell für zwanzigtausend Pfund. Vielleicht würde Mr. Mack – «Das hat sich wie ein Auto angehört. In der Einfahrt.»
    Jessie gähnte, die Augen wollten ihr zufallen. «Vielleicht Onkel Rob und Victoria, die nach Haus kommen.» Sie fand, ihr Onkel war beim Abendessen einfach unausstehlich gewesen. Victoria hatte ihn zu einer Spazierfahrt und einem Drink in einem neuen Pub ganz in der Nähe überredet. Vielleicht würde sie ihm ja aus der Nase ziehen, was los war. Jess riß die Augen auf.
    Soeben war ihr aufgegangen, daß Victoria sich ziemlich gut darauf verstand, ihren Onkel aufzuheitern. Jessie kräuselte die Stirn und dachte darüber nach.
    «So früh kommen die nicht», sagte Sara.
    Sara sah besorgt, ja ängstlich aus. Was war bloß mit den Leuten im Haus los? «Ich will eine heiße Schokolade und Toast haben. Komm, Henry.»
    Henry ließ sich vom Bett fallen, er sah auch besorgt aus.
     
     
    J ESS SASS AM K ÜCHENTISCH und blätterte in ihrem Executive Cars . Sara setzte Teewasser und einen Topf Milch für die Schokolade auf. Dann schnitt sie das Vollkornbrot für die Toasts. «Wenn doch bloß die Mulchops da wären», sagte sie. Die Mulchops waren nach Okehampton gefahren, um Verwandte zu besuchen.
    «Die Mulchops? Wieso das denn?»
    Sara sagte mit einem Achselzucken: «Ach, ich bin einfach – nervös.»
    Jess blätterte mit einem Ruck um und zerriß dabei eine Seite.
    «Die könnten uns auch nicht helfen. Ich meine, wenn hier ein Geist umgehen würde oder so.»
    «Hör auf damit.»
    Jess zuckte die Schultern. Sara war eine Spielverderberin. Ausgerechnet jetzt, da Jess die Kälte in der Küche und die Wärme und Behaglichkeit rings um den Kamin einmal ohne Mrs. Mulchop genießen wollte, die nie die Hände in den Schoß legen konnte und ewig Teig knetete, ausgerechnet jetzt, da Mulchop mal keine Suppe schlürfte und sie nicht beschimpfte, weil sie Autos mochte, kam Sara mit ihren Ängsten.
    Weil Sara nervös war, fing sie wohl auch an, vor sich hin zu summen. Anscheinend glaubte sie, Geister, Vampire und Werwölfe würden Reißaus nehmen, wenn sie alte Volksweisen hörten. Sara war nicht zu bremsen, und jetzt sang sie «… mit ihren Wangen weiß wie Schnee, man legte sie ins Grab …»
    «Das ist ja ‹Barbara Allan›.»
    «Oh, mein Gott, das tut mir leid. Wirklich. Das kommt wohl, weil soviel von deiner Mutter die Rede ist –» Sie verstummte und starrte zur Küchentür, die auf den Hof ging. «Hörst du nicht, da draußen?»
    Jetzt hatte es Jess auch gehört. Eine Art Scharren. Aber der Wind heulte jetzt stärker, und eine Schuppentür klapperte, wodurch das Geräusch übertönt wurde. «Sind doch bloß die Pferde.» Sara war wirklich ein ausgemachter Angsthase. Genau wie die Frau von de Winter in Rebecca.
    Nun machte sich Sara wieder ans Brotschneiden, hielt aber plötzlich erneut inne. «Das hört sich an wie Schritte.» Sie lauschte angespannt, schüttelte den Kopf und schnitt weiter.
    Es hatte sich wirklich wie Schritte angehört, aber Jess wollte es nicht wahrhaben. «Ist bloß Henry. Der bewegt manchmal im Schlaf seine Pfote.» Henry schlief wie ein Klotz, das wußte Jess nur zu gut.
    Sie sah sich weiter die Autos in der Zeitschrift an. Daimler, Rolls, Ferrari, alles Sammlerstücke. Neben dem schwarzen Daimler stand ein kleiner Morris Minor, Vorkriegsmodell.
    Der Daimler … Tränen
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