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Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
Autoren: Matha Grimes
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gefühlsbetont, launisch. Hatte deswegen Schwierigkeiten mit seinen Eltern, die sind nämlich nicht so.«
    Jury deutete ein Lächeln an.
    »Sie wissen, was ich meine, Sie sind ja selbst gefühlsbetont. Schauen Sie mich nicht so an, natürlich sind Sie das. Also wissen Sie, wie es ist, mit oberflächlichen Leuten umzugehen. Ich will damit nur sagen, dass seine Eltern Billy nicht verstehen konnten. Ich übrigens auch nicht. Bei ihm wusste man nämlich nie genau, wie er reagieren würde. Wie seine Mutter.« Oswald lächelte. Das Lächeln wirkte verletzt.
    »Ihre Tochter?«
    »Nein, nein. Die erste Frau meines Sohnes Roderick, Mary. Sie ist gestorben.« Das Lächeln verschwand. »Ich war ihr sehr zugetan. Billy auch. Er war noch ein Kind, als sie starb. Sie richtete ein Treuhandvermögen für ihn ein, davon lebt er. Marys eigene Mutter, Billys Großmutter mütterlicherseits, lebt ebenfalls in London, ich sehe sie allerdings selten.« Er hielt zur Erklärung den Krückstock in die Höhe. »Sie heißt Rose Ames, kommt mich ab und zu besuchen. Eine sehr nette Frau. Meine eigene Frau ist vor sieben Jahren gestorben. Roses Ehemann auch, Billys anderer Großvater. Ist tot, meine ich.« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Roderick – mein Sohn – ist im Grunde ein herzensguter Mensch, aber ziemlich spießig. Und seine zweite Frau Olivia ist ein gutes Stück jünger, vierzig ist sie, glaube ich. Sie ist schön auf diese Art, wie Porzellan schön ist, kann einem aber ganz schön die Kräfte rauben. Ich glaube, Billy kam damit nicht zurecht. Roderick allerdings schon. Dem scheint ihre ewige Piesackerei nichts auszumachen. Vielleicht wurde er ja als Kind lieblos behandelt, vielleicht waren die Menschen um ihn herum kaltherzig, vor allem sein Vater. Ich weiß es nicht.«
    Jury wusste, dass Sir Oswald müde war und er eigentlich gehen sollte, konnte dem, was der alte Mann gerade gesagt hatte, aber nicht folgen. »Sein Vater? Das verstehe ich nicht. Ich dachte, Roderick wäre Ihr Sohn.«
    »Adoptivsohn. Nach dem Krieg. Er ist auch meiner. Haben Sie schon mit ihm und Olivia gesprochen? Und mit Kurt Brunner? An den müssen Sie sich halten, Superintendent. Er und Billy standen sich sehr nahe. Er ist immer noch in Rye, glaube ich.«
    »Rye?«
    »Ja, dort haben sie in den vergangenen acht oder neun Monaten gewohnt. In Lamb House. Oder vielmehr, dort und in Billys Wohnung in Chelsea.«
    »Aber das ist doch das Anwesen des National Trust. Das Wohnhaus von Henry James.«
    »Ich weiß. Billy hatte es gepachtet. Er hatte eine enorme Schwäche für das literarische Werk von James, und ich glaube, er fand das Ganze einen Riesenspaß. Irgendwo hatte er gelesen, dass der Trust jemanden suchte. Also bewarb er sich. Er erfüllte bestimmt deren überkandidelt hohe Anforderungen.« Er sah zu Boden, zeichnete mit dem Stock das komplizierte Muster zu seinen Füßen nach. »Allerdings hätte Billy alle hohen Anforderungen erfüllt, egal, von wem.«
    Irgendwie war dies die betrübteste Bemerkung, die Oswald Maples bisher gemacht hatte. Jury meinte: »Die Kollegen von Islington werden heute Ihren Sohn und seine Frau aufsuchen. In East Sussex. Aber Kurt Brunner –«
    »Billys Assistent oder Sekretär oder schlicht und einfach Freund. Sprechen Sie mit ihm. Ist es denn nicht Ihr Fall?« In seinem Ton klang Enttäuschung durch.
    »Offiziell helfe ich aus. Und ich beabsichtige, sehr viel auszuhelfen.« Er lächelte.
    »Danke, dass Sie sich herbemüht haben, Superintendent. Ich weiß das zu schätzen.«
    »Nicht der Rede wert.« Jury erhob sich. »Ich gehe jetzt, würde aber gerne ein andermal wieder vorbeischauen. Nein, bleiben Sie doch sitzen. Ich finde schon allein hinaus.«
    Oswald Maples schien dankbar, ob nun deshalb, weil er sich nicht vom Sofa hochstemmen musste oder weil Jury wiederkommen würde, wusste dieser nicht zu sagen.
    »Lesen Sie manchmal James?«, meinte er gedankenverloren, ohne eine Antwort zu erwarten. Er saß da und fuhr das komplizierte rotblaue Teppichmuster mit der Spitze seines Krückstocks nach. »Es gibt da eine Erzählung von ihm mit dem Titel ›Das Muster im Teppich‹. Darin geht es um einen Schriftsteller, in dem die bittersüße Erkenntnis reift, dass kein Kritiker, der über seine Bücher geschrieben hat, jemals das Wichtigste in ihnen begriffen hat, seinen ›kleinen Trick‹, den er als Muster in einem Perserteppich beschreibt. Es fügt sich so gut ein, dass es unsichtbar wird, obwohl es deutlich erkennbar ist, wenn man es
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