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Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel

Titel: Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
Autoren: Peter Robinson
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gesagt, er hatte einen Schutzengel.
      Einmal, kurz vor Morgengrauen, hatte er auf einer Brücke gestanden und zugeschaut, wie der Regen auf die Oberfläche des Flusses tropfte. Er hatte das Leben der Stadt um ihn herum gespürt, die zwar friedlich war, aber nie ganz schlief, ständig hörte man dieses vitale Summen, so unaufhörlich wie der Fluss, der unter der Brücke hindurchströmte. Obwohl er glaubte, dass es nicht die Westminster Bridge war, kamen ihm Wordsworth' Zeilen in den Sinn, die er im Gefängnis gelesen und auswendig gelernt hatte:
     
    Wie ein Kleidungsstück trägt nun die Stadt die Schönheit des Morgens; still und nackt liegen Schiffe, Türme, Kuppeln, die ganze Welt ausgebreitet unter dem weiten Himmelszelt, ganz hell und glitzernd und im Duft einer heitren, ungetrübten Luft.
     
    Na gut, völlig »ungetrübt« war die Luft vielleicht nicht, dachte Owen, aber manchmal musste man Zugeständnisse machen.
      Owen war müde und fühlte sich leer. Ganz müde und leer.
      Der Eastvaler Bahnhof lag im Nordwesten der Stadt in der Kendal Road, ein paar Kilometer östlich der North Market Street. Bis ins Stadtzentrum war es nur eine kurze Fahrt mit dem Taxi. Doch Owen wollte nicht ins Zentrum und trotz seiner Müdigkeit auch nicht nach Hause.
      Er war überrascht, dass die Polizei ihn nicht am Bahnhof empfing, aber wahrscheinlich warteten sie vor seinem Haus. Er wollte ihnen nicht direkt in die Arme laufen. So leer er sich auch fühlte, so gestundet jeder Augenblick seiner Freiheit auch erschien, noch wollte er nicht einfach so aufgeben. Vielleicht glich er einem Krebspatienten, dachte er, der wusste, dass es keine Chance mehr gab, sich aber bei allen Schmerzen trotzdem ans Leben klammerte und auf ein Wunder hoffte; hoffte, dass die Krankheit einfach verschwinden würde, dass alles nur ein böser Traum war. Außerdem wollte Owen noch etwas trinken.
      Was auch immer seine Gründe waren, wie von allein ging er die Kendal Road entlang. Am Tage war es so heiß und feucht gewesen, dass es am kühlen Abend diesig wurde, als wäre Nebel aufgezogen. Auf der Brücke schaute er die mit Bäumen gesäumten Ufer hinab in Richtung Stadt und sah auf dem Wasser die Spiegelungen des hoch stehenden Dreiviertelmondes und des beleuchteten Schlosses auf dem Hügel, die im Dunst des Sommernebels ganz verschwommen waren.
      Als er weiterging und an die Kreuzung kam, sah er das Nag's Head. Tja, dachte er mit einem Lächeln, warum sollte er nicht dort etwas trinken. Der Kreis schloss sich.
     
    * V
     
    Als Banks und Gristhorpe von Chief Constable Riddle die Erlaubnis bekamen, Michael Clayton zum Verhör aufs Revier zu laden, was nicht einfach gewesen war, hatte bereits die Dunkelheit eingesetzt. Eine der Bedingungen war, dass Riddle bei dem Verhör anwesend sein wollte.
      Mit Genugtuung sah Banks, dass Clayton von dem kargen und tristen Verhörzimmer mit den Wänden im verblichenen Anstaltsgrün, dem verschmutzten Fenster, den am Boden befestigten Stühlen und Tisch und dem Geruch nach Urin und abgestandenen Zigarettenrauch wie erwartet wenigstens etwas eingeschüchtert war.
      Und selbstverständlich regte sich Clayton darüber auf, dass man ihn wie einen gemeinen Verbrecher von zu Hause abgeholt und aufs Revier gebracht hatte; sein Selbstvertrauen wirkte allerdings nicht mehr völlig unerschütterlich. Er trug graue Hosen mit akkuraten Bügelfalten und ein weißes kurzärmeliges Hemd, seine Brille hing an einer Kette um seinen Hals.
      »Stehe ich unter Anklage?«, fragte Clayton, verschränkte seine Arme und schlug seine Beine übereinander.
      »Nein«, sagte Gristhorpe. »Auf jeden Fall noch nicht. Chief Inspector Banks möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, das ist alles.«
      Jimmy Riddle saß hinter Clayton in der Ecke neben dem Fenster, der Verdächtige konnte ihn also nicht ständig nach Trost oder Unterstützung suchend anschauen. Auch Riddle hatte die Arme verschränkt und die Beine übereinander geschlagen, als wollte er sich in sich verkriechen. Er hatte versprochen, sich nicht einzumischen, aber Banks glaubte ihm kein Wort.
      »Worüber?«, wollte Clayton wissen.
      »Über den Mord an Ihrem Patenkind Deborah Harrison.«
      »Ich dachte, das hätten Sie abgeschlossen.«
      »Nicht ganz.«
      Er schaute auf seine Uhr. »Na gut, dann sagen Sie ihm bitte, er soll sich beeilen. Ich habe wichtige Dinge zu erledigen.«
      Banks schaltete die Kassettenrecorder an, gab die Zeit und die
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