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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus
Autoren: Luca Di Fulvio
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Namen zu löschen und der Oberfläche ihr unbeflecktes Weiß wiederzugeben. Er starrte auf den letzten Namen der Liste. Ein Name, der ihm so vertraut war, der einer ganz besonderen Hure.
    Bis jetzt hatte er noch keine von ihnen getötet. Nicht etwa, weil er sich davor fürchtete zu töten. Das hatte er in der Vergangenheit schon getan, ohne dass es jemand herausgefunden hatte. Aber nur Männer, nie Frauen. Keine Nutten. Solange er sich beherrschen konnte, würde er keine von ihnen töten. Er fürchtete sich davor, sie in Stücke zu reißen und dann der Versuchung nicht widerstehen zu können, sie zu essen. Eine innere Stimme sagte ihm, wenn er eine tötete, würde er sie anschließend auch essen. Und das war das Einzige, wovor sich Primo Ramondi wirklich fürchtete. Allein der Gedanke daran versetzte ihn in Angst und Schrecken, was man seinen Augen sogar ansah, wenn er darüber Witze riss und meinte: »Nein danke, bei der Vorstellung, rohes Nuttenfleisch im Mund zu haben, könnte ich kotzen.«
    Er setzte sich auf eines der beiden Sofas, beugte den Kopf dicht über den Platz neben ihm, und als er dort ein winziges Haar entdeckte, griff er es mit der Pinzette, die er immer bei sich trug, und brachte es ins Bad. Er warf es ins Toilettenbecken und zog die Spülung. Hielt die Pinzette unter den Wasserhahn und desinfizierte sie mit einem alkoholgetränkten Wattebausch, führte sie an ein einzelnes Haar, das dort wuchs, wo eigentlich seine rechte Augenbraue gewesen wäre, und zupfte es aus. Bewundernd betrachtete er sich im Spiegel. Er gefiel sich so glatt, ohne Augenbrauen oder irgendwelche anderen Haare. Er knöpfte sein Hemd auf. Seine Brust war ebenfalls unbehaart. Er lächelte seinem Spiegelbild zu. Der Zahnarzt hatte hervorragende Arbeit geleistet. Die Schneidezähne seines Ober- und Unterkiefers – nicht die in der Mitte, sondern die neben den Eckzähnen – waren messerscharf zugespitzt. So hatte er jetzt jeweils vier obere und untere Eckzähne. Er würde die Nutten in dieser Stadt nicht töten – zumindest hoffte er, dieser Versuchung widerstehen zu können –, aber sie würden seine Raubtierzähne zu spüren bekommen. Er würde ein wenig an ihnen knabbern. Nur ein wenig. Nicht an den fünf Nutten, bei denen er sich bedanken musste, denn es war Teil seines Danks, dass er sie nicht so zeichnen würde. Oder zumindest hoffte er, auch dieser Versuchung widerstehen zu können.
    Ein Blick auf die Uhr mit dem weißen Zifferblatt, die an der Wand über der Badewanne hing, zeigte ihm, dass er es vielleicht noch schaffen konnte, die zweite Nutte auf der Liste aufzusuchen. Sie ging in der Altstadt auf den Strich. Dort blieben die Nutten lange, weil dort mehr los war und immer Betrieb herrschte. Also würde es auch schwieriger sein, sich bei ihr zu bedanken. Primo Ramondi grinste seinem Spiegelbild zu, während er mit einem Mikrofasertuch einen winzigen Fleck von der Oberfläche entfernte.
    Dann spürte er einen Druck in der Blase. Er drehte sich um, zog den Reißverschluss seiner Hose herunter und hob den Toilettendeckel hoch. Strich mit den Fingern liebevoll über seinen Unterleib. Auch dort fand sich kein einziges Haar. Mit Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand nahm er sein winziges, schrumpeliges Glied, das so klein war wie eine vergrößerte Klitoris, und lenkte den Strahl direkt in das weiße Keramikbecken, wobei er peinlich genau darauf achtete, dass er ringsherum keine Spritzer hinterließ. Nachdem er sich erleichtert hatte, reinigte er sich die Eichel mit einem alkoholgetränkten Stück Toilettenpapier. Der Schmerz verzerrte seine Züge. Etwas anderes spürte er nicht mehr. Er legte eine Hand an den Ansatz seines Penis und suchte dort tastend nach den zwei Höckern, seinen kaum wahrnehmbaren Hoden, die wie bei einem Neugeborenen in seinem Körper verborgen waren.
    Während der Schmerz langsam abebbte, zog er den Reißverschluss zu, ging in den Flur und nahm dort die Schlüssel zu dem alten Lieferwagen, mit dem er in die Altstadt fahren würde.

III
    Die Bilder bewegten sich langsam. Wirkten langweilig und nichtssagend. Auf der Videokamera mit dem hochauflösenden Infrarotfilm war ein kleiner Scheinwerfer befestigt, der das ganze Geschehen in grünliches, beinahe phosphoreszierendes Licht wie von Neonleuchten tauchte, in das sich regelmäßig die zuckenden Blitze des Blaulichts auf dem Polizeiwagen mischten. Das Ganze wirkte beinahe wie Amateuraufnahmen von einem seltsamen Fest, das aus irgendeinem mysteriösen
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