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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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konnte. Manchmal fragte er sich, ob er sich immer nur noch tiefer begrub, aber die Luft war immer noch bewegt, also mußte es irgendwo eine Öffnung geben.
    Das Wasser am Boden stieg höher, bis er durch einen Bach und schließlich einen kleinen Fluß watete. Dann stürzte das Wasser vor ihm mit einem Rauschen in einen weiteren Abgrund. Von dem Getöse gewarnt, blieb Ian stehen und überlegte. Das Wasser umspülte nun seine Hüften. Wenn er sich diesen unterirdischen Wasserfall hinabtragen lassen würde, konnte er in einem See landen, wahrscheinlicher war allerdings, daß er ertrank oder an einem Felsen zerschmettert wurde. Die Chancen standen nicht besonders gut, aber wieder einmal sah er keine Alternative.
    Und er hatte ja selbst entschieden, daß jeder Tod besser war, als lebendig begraben zu sein, und immerhin blieben ihm noch einige Chancen. Zwar würde sein Revolver zu naß werden, um sich die letzte Flucht offenzuhalten, aber er würde ja ohnehin ziemlich sicher ertrinken, also zählte das auch nicht mehr.
    Er atmete ein paarmal tief ein, um so viel Luft wie möglich in die Lungen zu bekommen. Dabei dachte er an alles, was er zurücklassen würde. Vorher, als er sich fast umgebracht hatte, war in seinem Kopf nur Platz für die Qual der Existenz gewesen. Doch das Leben war mit Laura wieder lebenswert geworden, und nun zu sterben, war, als würde man die Lektüre eines guten Buches an der besten Stelle abbrechen.
    Nun, wo seine Existenz auf das Wesentliche reduziert war, konnte er plötzlich nicht mehr verstehen, warum er Laura nicht hatte sagen können, wie sehr er sie liebte. Wie dumm war er gewesen, sich von seinem Gefühl der Unwürdigkeit zum Schweigen bringen zu lassen, denn Laura hatte es verdient zu erfahren, was sie ihm bedeutete. Wenn er dies hier überleben würde, wollte er es wiedergutmachen.
    Während seiner langen, mühsamen Wanderung durch die Höhle waren seine Ängste versiegt und hatten einem seltsamen Frieden Platz gemacht. Die Finsternis war nicht länger bedrohlich. Und seltsamerweise hatte er das Gefühl, daß er nicht mehr allein war. Die Gesichter seiner Familie zogen vor seinem inneren Auge vorbei, begannen und endeten mit Laura. Sie erschien ihm so lebendig, daß er das Gefühl hatte, er könnte sie berühren, wenn er den Arm ausstreckte. Larissa Alexandrowna, seine un-gezähmte, treue, liebende Tatarin. Werde glücklich, Larischka, und denk manchmal an mich!
    Dann ließ er sich auf den Rücken fallen und vom Strom in den Abgrund tragen.
    Die nächste Höhle war wunderschön, doch zu Lauras bitterer Enttäuschung das Ende des Weges. Die Hälfte der Fläche nahm ein Teich ein, der von einem Wasserfall gespeist wurde. Sie suchte alles gründlich ab, aber sie konnte keine weitere Öffnung finden.
    Auch David suchte, auf Knien über den Boden rutschend, aber beide trafen sich schließlich am Rand des Sees, ohne etwas entdeckt zu haben. »Wir müssen umkehren, Laura«, sagte er. »Hier ist Schluß. Vielleicht hatten Zafir und Kuram mehr Glück.«
    Sie seufzte. »Ich habe immer noch das Gefühl, daß Ian irgendwo hier ist. Wenn ich nur wüßte, wo wir suchen müßten... Wenn ich mich nur mehr bemüht hätte.«
    »Keiner kann sich mehr bemühen als du, Laura — du bist die sturste und entschlossenste Frau, die mir je begegnet ist.« David berührte leicht ihre Schulter. »Aber nun müssen wir zurück.«
    Sie nickte. Als sie zum Tunnel gingen, blieb sie noch einmal stehen und warf einen Blick auf den Wasserfall, der geräuschvoll aus einem Loch in der Wand herabstürzte. Dort konnten sie nicht durch, denn das Wasser füllte die Öffnung gänzlich aus. Sie wollte sich gerade wieder umwenden, als irgend etwas durch den Vorhang aus Wasser kam. Irgend etwas Großes, vielleicht ein Baumstamm oder ein totes Tier. Mit einem Platschen schlug es auf die Wasseroberfläche auf.
    Laura starrte darauf und war sicher, daß sie halluzinierte, daß sie Ian in dem aufgewühlten Wasser sah, weil sie es sich so sehr wünschte. Dann begann sie zu rufen.
    Verglichen mit der vorherigen Wanderung, war der Weg durch den unterirdischen Fluß fast einfach. Das Wasser schwemmte ihn durch die Felsenröhre, und die Kälte betäubte seine Abschürfungen und Prellungen. Wenn er nur atmen könnte... Seine Lungen begannen zu schmerzen, und er stieß langsam die Luft aus, um das Ersticken noch ein wenig herauszuzögern.
    Plötzlich spuckte ihn der Fluß aus, seine Lungen sogen hastig das Gemisch aus Wasser und Luft ein, das
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