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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Christiane Fux
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Sannas Krankheit hatte auch ihr die Lebensenergie geraubt. Durch den Bruch mit dem alten Leben und die Übersiedlung nach Kanada hatte er gehofft, sie aus ihrer Lethargie reißen zu können und seine Tochter aus dem psychischen Teufelskreis herauszuholen, in den sie sich immer tiefer verstrickte. Es war ihm nicht gelungen. Sanna war zwischen Klinik und Elternhaus gependelt, Melanie hatte sich in der Sorge um ihre ältere Tochter selbst zerfleischt. Und auch seine jüngere Tochter Carlotta, die stets ein unbekümmerter Mensch gewesen war, hatte sich verändert. Sie hatte sich von ihren Eltern abgewandt, denen sie einen Teil der Schuld am Zustand ihrer Schwester gab.
    Dass es ihm gelungen war, sich ein neues Leben aufzubauen, hatte sie erst recht erzürnt.
    Also bin ich nicht gestraft genug, dachte er. Seine Töchter waren für ihn verloren, seine Ehe nur noch eine leere Hülse. Einzig der Garten schien seine Frau noch zu interessieren. Wenn sie zusammensaßen, wirkte sie oft geistesabwesend. Doch an diesem Abend schien sie ihm besonders fahrig.
    »Was ist los, Schatz?«, fragte er, wie üblich seine Ungeduld bezähmend.
    Sie sah ihn nicht an, sondern pickte weiter mit der Gabel auf ihrem Teller herum. Ihr tadellos frisiertes Haar schimmerte im Licht. Dass sie sich wenigstens äußerlich nicht gehen ließ, rechnete er ihr hoch an. Er zwang sich, ihre Hand zu ergreifen.
    »Da war heute Nachmittag so ein Anruf«, sagte sie leise.
    »Und?«
    »Er kam aus Hamburg.«
    Sörgel war erstaunt. Seit seine Mutter im Pflegeheim war und geistig zunehmend abbaute, hatten sie kaum noch Kontakt zu ihrer alten Heimat.
    »Wer war es denn?«
    Melanie Sörgel zuckte die knochigen Schultern. »Ich weiß es nicht.« Sie hob den Blick und sah ihn an. »Es war eine Frau. Sie hat nach Sanna gefragt.«
    Sörgel überließ es Melanie, den Tisch abzuräumen, und zündete sich eine Pfeife an. Er versuchte, den schmerzlichen Gedanken an seine beiden Töchter, so gut es ging, zu verbannen. Heute wollte es ihm nicht gelingen. Als das Telefon klingelte, das er wie üblich neben sich auf den Tisch gelegt hatte, dachte er daher nicht wie sonst zuerst an einen Notfallanruf, sondern an die Anruferin aus Hamburg.
    Tatsächlich leuchtete auf dem Display die vertraute Hamburger Vorwahl auf. Und dass die anschließende Ziffernfolge mit 754 begann, zeigte ihm, dass der Anruf überdies aus Wilhelmsburg kam. Ohne weiteres Zögern nahm er das Gespräch entgegen.
    Die Frau stellte sich als Hanna Winter vor und entschuldigte sich für die späte Störung.
    »Da es bei Ihnen Nacht sein muss, gehe ich davon aus, dass es dringend ist«, sagte der Arzt förmlich. »Sie haben vorhin schon einmal angerufen?«
    »In der Tat. Aber das Gespräch wurde unterbrochen …«
    »Ich nehme an, dass meine Frau aufgelegt hat.«
    »Den Eindruck hatte ich auch.« Hanna zögerte kurz. »Ich hatte sie um Auskunft über Ihre Tochter Sanna gebeten.«
    »Ich weiß.« Sörgel legte seine Pfeife in einem Aschenbecher ab. »Sehen Sie, das ist nicht so einfach für uns. Unsere Tochter Sanna ist gestorben. Das ist schon drei Jahre her.«
    Er lauschte den unvermeidlichen Entschuldigungen der Frau in Deutschland nur mit halbem Ohr. Warum sie überhaupt so dringend Auskunft über Sanna hatte haben wollen, interessierte ihn nicht. Auf seine Weise war er innerlich fast genauso tot wie seine Frau. Als das Gespräch beendet war, blieb er sitzen und sah zu, wie das Glühen in seiner Pfeife erlosch.

KAPITEL 33
    »Aber wie kannst du dir da so sicher sein?«, wollte Henry wissen. »Ich meine, du hast die Frau seit – wie lange? – zwanzig Jahren nicht gesehen? Die kann sich doch vollkommen verändert haben.«
    Störrisch schüttelte Hadice den Kopf. »Das ist nicht Sanna, ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter.«
    Sie kamen überein, sich die Videobotschaft unverzüglich anzusehen. Normalerweise überließen sie Computer lieber den Spezialisten, da sie jederzeit damit rechnen mussten, dass kriminelle Elemente perfide Selbstzerstörungscodes eingebaut hatten, die bei unsachgemäßer Benutzung sämtliche Daten löschten. Aber in dem Fall drängte die Zeit. Und die Täterin – sofern es sich tatsächlich um diese handelte – wollte ganz offensichtlich, dass man ihre Botschaft anhörte.
    Als Henry gerade die Playfunktion betätigen wollte, hob Hadice die Hand und nestelte ihr Mobiltelefon aus der Handtasche. »Es ist Hanna.« Sie nahm das Gespräch entgegen. Sie lauschte und sagte dann zu
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