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In Einer Zaertlichen Winternacht

In Einer Zaertlichen Winternacht

Titel: In Einer Zaertlichen Winternacht
Autoren: Linda Lael Miller
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vielleicht war der Sturm schon vorbei.
    Juliana
schlich lautlos auf und ab, bis der Raum sich allmählich erwärmte, dann angelte
sie Clays zerknitterten Brief aus der Tasche ihres Morgenmantels. In dem
Lebensmittelladen war sie zu verzweifelt gewesen, um das Schreiben zu Ende zu
lesen. Jetzt, hellwach im Haus dieses wohltätigen Fremden, glättete sie das
Papier mit der flachen Hand.
    Da sie
keine Lampe anzünden wollte, um die Kinder nicht zu wecken, die so friedlich in
ihren Federbetten schliefen, kniete Juliana sich neben das Feuer, öffnete die
Ofentür wieder einen Spalt und las im Licht der flackernden Flammen den Rest
des Briefs.
    Bald
wirst du sechsundzwanzig, Juliana, und bist noch immer unverheiratet. Nora und
ich machen uns natürlich große Sorgen um dein Wohlergehen, ganz zu schweigen
von deinem guten Ruf ...
    Juliana musste sich mit aller Macht
zwingen, den Brief nicht wieder zu zerknüllen und direkt ins Feuer zu werfen.
    Clay fuhr
in seiner typischen direkten Art fort, zu erklären, dass sie sich für ein Leben
in Einsamkeit und Altjungfernschaft entschieden hätte und für einen Skandal
sorgen würde, wenn sie weiterhin fernab ihrer Familie lebte. Er fragte sich,
welches Beispiel sie damit für ihre kleine Nichte Clara abgab.
    Der Brief
schloss mit dem unmissverständlichen Befehl, nach Denver zurückzukehren und im
Haus ihres Bruders ein Leben »in Bescheidenheit und Ehrfurcht« zu führen.
    Kein
zärtliches Wort. Unterschrieben hatte er mit: Es grüßt C. Mitchell.
    »C.
Mitchell«, wisperte Juliana. »Nicht Clay. Nicht dein Bruder. Nein, C. Mitchell.«
    Sie faltete
den Briefbogen sorgfältig zusammen, hielt ihn einen Moment in der Hand und
schleuderte ihn dann in den Ofen. Ausdruckslos starrte sie die orangenen
Flammen an, die das Papier wellten und die Ecken schwärzten. Ihre Augen wurden
durch die heiße Luft trocken und brannten. Zwischen ihr und Clay konnte es
keine Versöhnung geben.
    Sosehr sie
ihren Bruder noch immer liebte – denn irgendwo hinter dieser harten Fassade
musste der Junge von früher stecken –, konnte sie einfach nicht nach Hause
fahren. Natürlich würde sie die kleine Clara und deren Bruder Simon gern
einmal kennenlernen. Und Nora hatte sie immer gemocht, diese gutherzige Frau,
die niemals die absolute Autorität ihres Ehemannes anzweifelte. Doch Clay
würde Juliana wie eine arme Verwandte behandeln, ihr ein paar Pennys abzählen,
damit sie sich ein Paket Haarnadeln kaufen konnte, jede ihrer Handlungen
beobachten und kritisieren und sie am Abendbrottisch mit den Blicken
niederzwingen, wenn sie es wagte, eine eigene Meinung zu äußern.
    Nein! Unter
diesen Umständen konnte sie keinesfalls nach Hause zurückkehren. Damit würde
sie sich endgültig und vollkommen geschlagen geben, und all ihre Lebenslust
würde langsam verdorren.
    »Missy?«
Das kam von Daisy. Das Kind konnte Julianas Namen nicht aussprechen und nannte
sie immer so. »Missy, bist du da?«
    »Ich bin
hier, Liebling«, versicherte Juliana ihr leise, schloss die Ofentür und stand
wieder auf. »Ich bin hier.«
    Das allein
reichte dem Mädchen, es drehte sich mit einem leisen Murmeln zur Seite und fiel
wieder in tiefen Schlaf.
    Trotz des
Feuers war es noch immer kalt im Raum. Schnell kletterte Juliana zurück ins
Bett und zog zitternd die Bettdecke und die ausgebleichten Quilts bis ans Kinn.
    Billy-Moses
bewegte sich unruhig und verkrallte sich wieder in ihrem Nachthemd.
    Daisy
kuschelte sich ebenfalls fest an sie.
    Juliana
starrte zur Decke hinauf, betrachtete den Tanz der Schatten und dachte weiter
über die Kinder nach. Irgendwann würde es ihr gelingen, Joseph und Theresa mit
dem Zug zu ihrer Familie in North Dakota zu schicken.
    Aber was
war mit Billy-Moses und Daisy? Sie konnten nirgendwohin gehen außer in ein
Waisenhaus oder eine sogenannte »Schule«.
    In
optimistischeren Momenten glaubte Juliana manchmal daran, ein freundliches Paar
zu finden, das diese klugen, schönen Kinder mit Begeisterung adoptieren würde.
    Aber dies
war kein optimistischer Moment.
    Die Armut
grassierte unter den Indianern, viele konnten ihre eigenen Kinder nicht
ernähren und schon gar nicht die verlorenen Schafe, die »Herumtreiber«, wie
Clay und andere sie gern nannten.
    Eine Träne
lief über Julianas Wange und kitzelte ihre Schläfe. Sie schloss die Augen,
versuchte, nicht an die Zukunft zu denken, und wartete darauf, endlich, endlich
einzuschlafen.
    Es war knackig kalt.
    Lincoln
hatte noch vor der Abenddämmerung einen
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