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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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Sie fand ihn
    in der idealen Landschaft ihrer Jugend, und er war
    ihr bestimmt. Warum hatte sie ihn zu spät ihm Le-
    ben treffen müssen, so daß nun Schuld geworden
    war, was in Ehren hätte stehen sollen. Hatte sie ge-
    sündigt, da er doch der einzige Mann gewesen war,
    den sie geliebt? Al e Andern waren ihr nichts als eine
    Machtprobe gewesen; sie hatte sie zu nehmen ge-
    trachtet, und sobald sie sich ihr ergeben wollten, mit
    Ekel fortgeworfen. Diesem Einen aber hatte sie sich
    gegeben, und gerade er war es, der sie nach flüchtiger
    Laune verschmähte. Sie fühlte die Rache der Natur
    plötzlich wieder mit ungeahnter Stärke. Sie sprang
    auf, es war ihr, als müsse sie schreien. Sie stampfte
    mit den Füßen, dann gellte eine Stimme, die so
    schrecklich klang, daß die Unglückliche selbst sich
    die Ohren hielt, und die von den dicken Vorhängen
    und Teppichen ringsherum ruhig angehalten und er-
    stickt ward:
    »Ich liebe ihn noch!«
    Diese Frau, die mit unfruchtbarer, falscher Lei-
    denschaftlichkeit ihr ganzes Leben zersetzt hatte,
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    um es dann mit bitterer Langeweile abbröckeln zu
    sehen, konnte nicht friedlicher enden als sie gelebt.
    Sollte sie sterben, so durfte ihr letzter Atem nicht
    sanft entfliehn, er mußte in Stößen von ihr gehen. Es
    war, als geböte ihr Temperament an einer Stelle den
    fliehenden Kräften Halt, und zwänge sie, die danach
    verlangten, still und unbemerkt, eines nach dem an-
    dern dahinzuschwinden, sich zusammenzunehmen
    zu einem gewaltsamen letzten Ausbruch.
    Doras Eifersucht war in der Zeit des schnellen
    Verfalls des Verhältnisses unbedeutender und weni-
    ger gefährlich erschienen als diejenige Wel kamps. In
    Wahrheit war sie nur zurückgehalten durch die tiefe
    Angst, mit der die junge Frau das Wachsen dieser
    Leidenschaft bei sich wie bei dem Geliebten be-
    merkte. Da sie sich an ihre einzige große Liebe wie
    an das Leben selbst klammerte, schauderte sie vor
    der Eifersucht als vor der natürlichen Mörderin des
    Gefühls zurück. Dieser erhaltende Instinkt war erst
    langsam durch die Unfähigkeit, die Leidenschaft
    länger zu bemeistern, abgetötet, und Dora hatte se-
    hen müssen, wie ihre zeitweilige Annäherung an ih-
    ren Gatten, die sie, wie um sich einen Halt zu geben,
    versucht hatte, die notwendige Katastrophe nur be-
    schleunigte. Bei diesen sich bekämpfenden Gefühlen
    war sie ruhiger erschienen als der Mann, sei es durch
    einen Rest von der weiblichen Zurückhaltung ge-
    genüber der beobachtenden Umgebung, sei es nur in
    der Art, wie der Zustand eines wirklichen Kranken
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    zuweilen weniger gefährlich erscheint, als der eines
    eingebildeten. Was war denn Wellkamps Eifersucht
    im Vergleich mit der ihrigen? Nichts als diejenige
    eines Kindes, das ein Spielzeug zwar fortgeworfen
    hat, aber nicht dulden will, daß ein Anderer die
    Hand darauf lege. Die Frau, die er nicht mehr für
    sich begehrte, mißgönnte er dennoch ihrer Ruhe
    und ihrem Gatten. Sie aber liebte ihn, die Unglück-
    liche, und während die Wunden, die ihm seine
    männliche Eitelkeit geschlagen, ihn viel eicht bereits
    nicht mehr schmerzten, hatten die ihren, die in Stil e
    und Verheimlichung in Eiter übergegangen waren,
    das Blut vergiftet und nun ein äußerstes Fieberdeli-
    rium herbeigeführt, dem die Auflösung folgen
    mußte.
    Bis zum letzten mußte sie jetzt die Rache der Na-
    tur über sich ergehen lassen, die uns unerbittlich mit
    dem straft, womit wir uns an ihr vergangen haben.
    So ward ihr die Leichtigkeit, mit welcher schon die
    frühreife Phantasie des jungen Mädchens mit Bil-
    dern spielte, die sie abwechselnd reizten und ab-
    schreckten, nun zur raffinierten Qual. Der Traum-
    zustand, in dem sie soeben ihre Jugend erblickt, war
    beendigt. Die erwachten und schmerzhaft ange-
    strengten Sinne zeigten ihr Alles in nackten, harten
    Formen. Sie sah den Geliebten, jener Andern gehö-
    rig, und sein Lächeln, seine Bewegungen waren die
    gleichen, die sie an ihm kannte, die er für sie selbst
    gehabt. Dann wechselte das Gesicht, und in ihrer
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    kranken Phantasie tauchten unreine Bilder auf. All
    das tief Unwürdige, womit sie und ihr Mitschuldiger
    ihre in sich selbst schon beendigten Beziehungen zu
    verlängern gesucht hatten, ging noch einmal an ihr
    vorüber und erregte in ihren irren Sinnen eine auf-
    reizende, verzweifelte Sehnsucht. Unter ihren Au-
    gen, die, wie um in das Unsichtbare einzudringen,
    gewaltsam aufgerissen waren, schwollen die blauen
    Adern, während
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