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In der Südsee

Titel: In der Südsee
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Kämpfers war keine. »Ich alten Mann gesehen, haben kein Speer«, sagte der König.Tenkoriti hinterließ zwei Söhne, Tembaitake und Tembinatake. Tembaitake, der Vater unseres Königs, war klein, ziemlich dick, ein Dichter, ein guter Genealoge und auch ein einigermaßen guter Kämpfer. Es scheint, daß er sich selbst ernst nahm und vielleicht kaum wußte, daß er in jeder Beziehung geschröpft wurde und Spielball seines Bruders war. Zwischen beiden war nicht der Schatten eines Zwistes: der größere Mann füllte heiter und zufrieden den zweiten Platz aus, stand im Kriege an der Spitze und verwaltete im Frieden alle Hauptämter. Wenn sein Bruder ihn tadelte, hörte er zu und blickte schweigend zu Boden. Gleich Tenkoriti war er groß und hager und ein geschickter Sprecher – eine seltene Gabe auf den Inseln. Er war in jeder Beziehung durchgebildet, verstand die Zauberei, war der beste Stammbaumkenner seiner Zeit, war Dichter, konnte tanzen, Kanus und Waffen anfertigen, und der berühmteste Mast von Apemama, der um einen Baum höher ist als der Hauptmast eines Vollschiffes, ist von ihm geplant und entworfen. »Mein Onkel, wenn machen Krieg, er lachen«, sagte Tembinok'. Er verbot die Anwendung von Feldbefestigungen, die die Streitigkeiten unter den Eingeborenen verlängerten; seine Leute mußten in offener Feldschlacht kämpfen und sofort gewinnen oder verlieren. Seine eigene Kühnheit trieb seine Gefolgschaft an, und die Schnelligkeit seiner Angriffe schlug innerhalb eines Menschenalters den Widerstand dreier Inseln nieder. Er machte seinen Bruder zum Herrscher und ließ seinen Neffen als Diktator zurück. »Mein Onkel alles glattmachen,« sagte Tembinok', »ich mehr König als meinVata, ich Macht haben!« fügte er mit entsetzlicher Genugtuung hinzu.
    Das ist das Porträt des Onkels, wie der Neffe es zeichnete. Ich kann ihm ein anderes entgegenstellen, das von einem anderen Künstler stammt, der mich oft – ich kann wohl sagen immer – durch die romantische Art seiner Erzählungen, aber nicht immer – und ich kann sagen, nicht oft – durch Zuverlässigkeit entzückte. Ich habe mir bereits die Wiedergabe so mancher höchst interessanter Einzelheit, die auf dieselbe Quelle zurückgeht, versagt, daß es vielleicht an der Zeit ist, mein gutes Benehmen zu belohnen. Sein Bericht über Tembinatake stimmt mit dem des Königs so genau überein, daß er, wie ich hoffe, den Tatsachen entspricht und nicht, wie ich argwöhne, ein heiteres Spinnen von Seemannsgarn ist. A., denn so will ich ihn lieber nennen, ging auf der Insel nach Hereinbruch der Dämmerung spazieren, als er zu einem hell erleuchteten, ziemlich großen Dorf kam, zum Hause des Häuptlings geführt wurde und bat, verweilen und eine Pfeife rauchen zu dürfen. »Du dich setzen, eine Pfeife rauchen und waschen und essen und schlafen,« erwiderte der Häuptling, »und morgen du wieder gehen«. Speisen wurden gebracht, Gebete wurden gesprochen – denn es war in den kurzen Tagen des Christentums –, und der Häuptling selbst betete mit beredten Worten und offenbarem Ernst. Den ganzen Abend saß A. am Feuer und bewunderte den Mann. Er war sechs Fuß hoch, hager, schien sehr alt zu sein und hatte das Aussehen eines Mannes von außergewöhnlicher Rassigkeit und Geisteskraft. »Er sah aus wie ein Mann, der lachend töten könnte«, sagte A. in bemerkenswerter Übereinstimmungmit den Aussagen des Königs. Und weiter: »Ich hatte gerade das Buch von den Drei Musketieren gelesen, und er erinnerte mich an Aramis.« Das ist das Porträt Tembinatakes, wie es ein erfahrener Romancier entwirft.
    Wir hatten viele Geschichten gehört von »mein Vata«, niemals ein Wort von »mein Onkel«, bis zwei Tage bevor wir die Insel verließen. Als die Zeit unserer Abreise herankam, änderte sich Tembinok' außerordentlich. Ein sanfterer, melancholischerer und besonders ein vertrauensseligerer Mann zeigte sich statt seiner. Meiner Frau versuchte er mit größter Deutlichkeit klarzumachen, daß er zwar gewußt habe, er müsse seinen Vater nach dem natürlichen Lauf der Dinge verlieren, daß er es aber nicht bedacht und wirklich empfunden habe, bevor der Augenblick wirklich gekommen sei, und daß er jetzt diese Erfahrung von neuem mache, da er uns verlieren solle. Eines Abends machten wir Feuerwerk auf der Terrasse. Es war eine traurige Angelegenheit, das Vorgefühl der Trennung lag auf allen Gemütern, das Gespräch stockte. Der König war besonders mitgenommen, er saß trostlos auf seiner
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