Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den W?ldern tiefer Nacht

In den W?ldern tiefer Nacht

Titel: In den W?ldern tiefer Nacht
Autoren: Amelia Atwater-Rhodes
Vom Netzwerk:
zurück und steckte das Messer wieder in die Scheide. Dann verschwand er, und ich sah auf die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte. Ich starrte hinter ihm her, vielleicht im Schockzustand. Ich konnte nichts mehr hören, nichts mehr fühlen.
      Dann begriff ich, was gerade passiert war, und ich versuchte, mich zu meinem Bruder umzudrehen, der so still war – zu still...
      Ather packte mich am Arm.
      »Laß ihn, Rachel«, sagte sie.
      Aber Alexander war verletzt, lag vielleicht sogar im Sterben. Ich war mir sicher, daß Aubrey sein Messer gezogen hatte, um ihn zu töten. Wie konnte sie da erwarten, daß ich mich nicht um ihn kümmerte? Er brauchte Hilfe.
      »Ich sagte, laß ihn«, flüsterte Ather und drehte mich wieder zu sich. Ich trat zurück und blickte in ihre schwarzen Augen.
      Kalter Schock erfüllte meinen Geist und verdrängte Angst und Entsetzen. Mein Bruder konnte nicht tot sein – nicht so plötzlich.
      »Weißt du eigentlich, wer ich bin, Rachel?« fragte Ather, und die Frage warf mich endgültig aus meiner stummen Welt. Diese Frage war die Realität, nicht Alexanders Tod und auch nicht die schwarze Rose. Ich konnte mit diesem Augenblick nur umgehen, solange ich nicht an den davor dachte.
      »Du scheinst eine Kreatur aus den Legenden zu sein«, sagte ich vorsichtig, besorgt wegen der Konsequenzen, die meine Worte haben mochten.
      »Das stimmt.« Ather lächelte wieder, und ich hätte ihr das Lächeln aus dem Gesicht schlagen können. Alexanders Worte fielen mir ein – Ich bin derjenige, der dich angegriffen hat – und meine Überraschung, als ich sie hörte. Ich konnte nicht glauben, daß mein Bruder irgend jemanden verletzen würde. Die Vorstellung, daß solche Gewalt in mir war, war schockierend... aber auch seltsam erregend.
      Ather redete weiter, bevor ich etwas sagen konnte.
      »Ich will dich zu einer von uns machen.«
      »Nein«, sagte ich zu ihr. »Geh. Jetzt. Ich will nicht so sein wie du.«
      »Habe ich vielleicht mit einem Wort erwähnt, daß du eine Wahl hast?«
      Ich stieß sie mit aller Kraft von mir, aber sie stolperte kaum. Sie packte meine Schultern. Lange Fingernägel schlangen sich in meine Haare, sie riß meinen Kopf zurück und beugte sich dann vor, bis ihre Lippen meinen Hals berührten. Die grauenhaften Fänge, die ich schon vorher gesehen hatte, durchbohrten meine Haut.
      Ich kämpfte, ich kämpfte verbissen um meine unsterbliche Seele, an die zu glauben die Prediger mich gelehrt hatten. Ich weiß nicht, ob ich wirklich je daran geglaubt hatte – ich hatte Gott nie gesehen, und Er hatte nie zu mir gesprochen – aber ich kämpfte trotzdem dafür, und ich kämpfte für Alexander.
      Ich konnte tun, was ich wollte – es machte keinen Unterschied.
      Das Gefühl, wenn einem das Blut ausgesaugt wird, ist sowohl verführerisch als auch beruhigend, fast wie ein Streicheln und eine sanfte Stimme, die ›entspanne dich‹ flüstert. Man will sich nicht mehr wehren, man will nur noch nachgeben. Ich wollte aber nicht nachgeben. Wenn man sich wehrt, tut es weh.
      Athers rechte Hand hielt meine beiden hinter meinem Rücken fest, und ihre linke Hand krallte sich noch immer in meine Haare. Ihre Zähne steckten in meiner Halsschlagader, aber ich spürte den Schmerz in der Brust. Es fühlte sich an, als würde flüssiges Feuer statt Blut durch meine Adern getrieben. Mein Herz schlug vor Angst und Schmerz und wegen des Blutverlusts schneller. Schließlich verlor ich das Bewußtsein.
     
 
      Eine Minute oder auch eine Stunde später erwachte ich für einen Moment an einem dunklen Ort. Ich nahm weder Licht noch Geräusche wahr, nur den Schmerz und die dicke, warme Flüssigkeit, die in meinen Mund gepreßt wurde.
      Ich schluckte und schluckte, bis mein Kopf wieder klarer wurde. Die Flüssigkeit war bittersüß, und während ich trank, hatte ich das Gefühl von Macht und ... nicht Leben oder Tod, sondern Zeit. Und Kraft und Ewigkeit...
      Endlich begriff ich, was ich da trank. Ich stieß das Handgelenk weg, das mir jemand gegen die Lippen gedrückt hatte, aber ich war zu schwach, und es war so verführerisch.
      »Versuchung.« Die Stimme klang in meinen Ohren und in meinem Kopf, ich erkannte, daß sie Ather gehörte.
      Wieder stieß ich das Handgelenk fort, obwohl mein Körper schrie, daß ich das nicht tun sollte. Ather war beharrlich, aber das war ich auch. Irgendwie schaffte ich   es, meinen Kopf wegzudrehen, trotz der Schmerzen, die mit jedem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher