Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Trümmern des Himmelsystems

In den Trümmern des Himmelsystems

Titel: In den Trümmern des Himmelsystems
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
in Ordnung?“
    „Ja … ja, ich bin nur müde, Pappy.“ All dieser Erinnerungen und Erinnerungen müde. Wie kann eine plötzliche Traurigkeit all meine Freude in Schmerz verwandeln? Zurückblickend sah sie in seinem Gesicht dieselbe Einsamkeit, dieselbe Wunde des Verlustes, die auch sie peinigte. Furcht machte sich erneut in ihren Gedanken breit. OK Clewell laß mich nicht auch noch dich verlieren. „Darf ich – die Nacht wieder in deinem Zimmer verbringen?“
    Er nickte. „Bitte. Ich kann allein einfach nicht einschlafen.“
    Sie folgte ihm in sein Zimmer, knöpfte in der Dunkelheit ihr schlichtes Baumwollhemd auf und schlüpfte aus ihren Schuhen und Jeans. Sie kroch neben ihn in den Doppelschlafsack und umschlang ihn dankbar mit den Armen, eine Geste langer Vertrautheit. Er war nicht ihr erster Ehemann gewesen, aber schon so lange Zeit ihr Freund, daß sie sich kaum mehr an etwas anderes erinnern konnte. In dem Jahr, als sie geboren wurde, war er siebenundzwanzig Jahre alt gewesen, einer der vielen Onkel; doch seit der Kindheit war er ihr unter all den vielen Mitgliedern ihrer Familie der liebste gewesen. Er war Astronom gewesen, bevor er Navigator an Bord der Ranger wurde; er war von Borealis an der kalten Taggrenze entlanggereist, hinaus über die Borealische See und über das unwirtliche Eis der Nachtseite, bis hin zu seinem Observatorium in der ewigen Nacht. Manchmal hatte er sie in ihren kurzen Ferien mitgenommen, damit sie die Sterne sehen konnte, frei von allen Pflichten und Klanverantwortlichkeiten, deren Erfüllung auf Morningside selbst von den Kindern verlangt wurde.
    Mit fünfzehn war sie zu ihrer ersten technischen Schulung gegangen, danach zu ihrer ersten Arbeit als Maschinistin in einem Kraftwerk, am Rand der subsolaren Hitzezone. Sie hatte sich in Eric verliebt, ihn geheiratet, und nach einer gewissen Zeit waren sie in die Borealis-Halbheit zurückgekehrt. Als eine erwachsene Frau war sie wieder in Clewells Leben getreten, und man hatte sie und Eric eingeladen, seiner Familie beizutreten.
    Die Gesellschaft Morningsides fußte auf dieser multiplen Heirat einer Familie; die Bande der Verwandtschaft waren ihre Stärke und zugleich ihre Sicherheit. Heiraten unter den Mitgliedern eines Klans – ein Elternteil, die elterliche Familie, deren Kinder oder eigene Kinder – waren ein soziales Tabu; außerhalb des zentralen Klans jedoch heirateten Cousins, Tanten, Nichten und Neffen frei untereinander, allein deren große Zahl gewährleistete eine kulturelle und biologische Kontrolle. Eine Heirat konnte zwischen einem einzelnen Paar oder einer größeren Gruppe erfolgen, und jede Familie bestimmte die Regeln selbst, nach denen sie leben wollte. Spezielle Freundschaften zwischen den Individuen einer großen Familie waren üblich, entweder überlebte die Gruppe als Ganzes, oder es wurde eine kleine Subgruppe abgesprengt. Hochzeiten waren Grund für allgemeine Feierlichkeiten, während eine Scheidung alleinige Privatangelegenheit einer Familie war. Drei der Mitglieder von Clewells Familie hatten sich von den anderen geschieden, und seine erste Frau war gestorben, bevor sie und Eric zu der Gruppe gestoßen waren, und Claire und Sean starben später.
    Bertha erinnerte sich an die kurze Zeremonie der Trauung sowie an die immensen, zügellosen Familienfeierlichkeiten, die sich angeschlossen hatten. Ganz Morningside liebte solch ein Fest, denn es gab sehr wenig Grund zum Feiern. Und nun würden es noch weniger Gründe geben, egal ob die Ranger zurückkehrte oder nicht …
    Bertha spürte, wie Clewells Hand langsam und zärtlich über ihre Hüfte strich. Doch die warme, instinktive Antwort einer halben Lebensspanne starb in ihr. Sie preßte ihr Gesicht gegen das Kissen und sprach undeutlich. „Oh, Clewell, ich kann nicht … ich kann nicht. Nicht jetzt. Es tut mir so leid …“
    Seine Arme gaben ihr erneut Trost. „Nein, Bertha … es ist schon in Ordnung. Das ist alles, was ich wirklich brauche. Dich zu halten.“
    Sie fühlte Rusty, die sich streckte und am Fußende des Bettes liegenblieb. Sie schmiegte sich noch enger in Clewells Arme und umschlang ihn mit den ihren, bis sie vor den Erinnerungen in den Schlaf floh.

 
Lansing 04 (Im Raum Lansing)
+ 190 Kilosekunden
     
    Still und lautlos erstreckte die Nacht sich vor ihren suchenden Augen; sie zogen Trost aus ihrer grenzenlosen, sternenglitzernden Unberührtheit. Sie waren Leichenfledderer, die die Gebeine ganzer Welten absuchten; die Nacht gab ihnen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher