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In deinem Schatten

In deinem Schatten

Titel: In deinem Schatten
Autoren: Barbara Hambly
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vordringen, in die sich das Bewusstsein im Schlaf zurückzog.
    No me toque,
hatte Tessa im Schlaf geschrien. Maddie hatte heute in einem Spanisch-Wörterbuch nachgeschlagen, was es bedeutete, bevor sie am späten Nachmittag zu Mrs. Buz’ Fest gefahren war.
Fass mich nicht an.
    Sie überlegte, wo sich das Büro von Lucius Glendower in dem jetzigen Irrgarten aus kleinen Büros und Nischen, Studios und fensterlosen Proberäumen des sechsten Stocks wohl befunden haben mochte. Direkt neben der Haupttreppe, wo sein Schatten ihr in der Dunkelheit diese ekelhaften Worte zugeflüstert hatte?
    “Möchtest du noch einmal alles absuchen?”, fragte Phil, als sie oben angelangt waren, Maddie stehen blieb und in ihrer Tasche zu kramen begann.
    “Bist du dir sicher, dass sie nicht hier oben ist?”
    Er nickte. “Ich habe jede Ecke und jeden Winkel abgesucht.” Er zog ein Stück blauer Kreide, mit der Mrs. Dayforth an der Tafel im Dance Loft immer die Kurs-Termine eintrug, aus seiner Hosentasche. “Ich habe alle Türen und Gänge markiert, die ich überprüft habe. Was auch bedeutet, dass ich besser dafür sorge, dass an mir kein Stäubchen blauer Kreide zu sehen ist, bevor Quincy hier heraufkommt und alles wegputzen muss. Sonst sitze ich im Handumdrehen auf der Straße. Was hast du da?”
    “Nur zur Sicherheit.” Maddie band das eine Ende des Bindfadens an das Geländer der Haupttreppe, die in den fünften Stock hinunterführte.
    Phil zog die Augenbrauen hoch. “Was wird deiner Meinung nach denn hinter uns her sein, dass wir unseren Weg durch die Korridore möglichst schnell finden müssen?”
    “Etwas, woran du nicht glaubst”, antwortete Maddie. “Und ich eigentlich auch nicht.”
    “Tja, das erinnert mich an Hamlet … ‘Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich erträumt, Horatio’”, sagte Phil leise. “Glaubst du wirklich, dass da oben irgendetwas ist?”
    “Ja”, sagte Maddie. “Und zwar etwas, das schon sehr lange da oben ist.” Sie gab ihm die Taschenlampe und schloss die Augen.
    Es war eine Sache, die Karten zu legen und zu akzeptieren, dass sich die zufällige Anordnung der Symbole an den komplexen Geflechten aus Energien und Schicksal orientierte, in denen Zeit und Raum ineinanderflossen. Es war ebenfalls eine Sache, mit Diana bestimmte Plätze im Central Park oder alte Gebäude im Hudson Valley aufzusuchen und ihrer Freundin dabei zuzusehen, wie sie mit ihren Händen über das Gemäuer fuhr und tief vergrabene Energien spürte. Als Diana sie damals in eine tiefe Trance versetzt und ihr gezeigt hatte, wie man die winzige Temperaturschwankung wahrnehmen konnte, die auf eine psychische Restaktivität des Hauses hinwies, hatte Maddie den Eindruck gehabt, es tatsächlich zu spüren.
    Doch rückblickend war sie sich jetzt nicht mehr so sicher.
    Eine gänzlich andere Sache war es, fand Maddie, tief und ruhig zu atmen, den Kopf leer zu machen und sich in Trance zu versetzen, wenn man wusste, dass das Leben von jemandem, der einem wichtig war, in Gefahr sein könnte. In Gefahr war. Ich sollte es nicht tun, dachte sie verzweifelt
. Ich sollte nur zusehen, wenn Diana es tut. Diana, die jahrelange Erfahrung in Trance-Arbeit und mit Geistern hat und die zwischen der Welt, wie wir sie kennen, und unsichtbaren Orten, wo Energien Gestalt annehmen, hin und her pendelt. Diana weiß, was sie tut. Ich nicht.
    Doch Maddies Instinkt sagte ihr, dass die Chance, Tessa dorthin zu folgen, wohin sie gelockt worden war, umso geringer wurde, je länger sie wartete. Umso geringer wurde auch die Chance, sie unversehrt zurückzubringen.
    Je tiefer Maddie ein und aus atmete und dadurch in einen anderen Bewusstseinszustand geriet, desto stärker spürte sie eine drohende Gefahr. Sie erinnerte sich deutlich daran, was sie empfunden hatte, als sie zum ersten Mal – knapp einen Monat, nachdem sie für Sandy ein möbliertes Zimmer gefunden und ihm beim Umzug geholfen hatte – das Glendower Building betreten hatte, weil sie auf der Suche nach einem Raum für ihre Tanzkurse gewesen war … Das Gebäude hatte dreckig und hässlich auf sie gewirkt, und sie hatte Energien wahrgenommen, die ihr zuriefen:
Komm nicht herein!
    Doch sie hatte einen Raum gebraucht, um unterrichten und mit dem verdienten Geld ihre Miete bezahlen zu können. Wie die jüdischen, russischen und kubanischen jungen Frauen, die jeden Tag die Treppe zu einer Fabrik hinaufgegangen waren, von der sie wussten, dass sie eine einzige
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