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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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Der Arzt hatte gemeint, sie müsse dringend abnehmen, wegen ihres Blutdrucks und ihres Zuckerspiegels, doch sie würde gewiss nicht anfangen, sich von Hasenfutter zu ernähren. Immerhin kam sie noch recht gut zurecht, und Ärzte neigten ja immer zum Dramatisieren.
    Doch nur um Doris zufrieden zu stellen, deren Nörgelei noch hartnäckiger war als die des Doktors, würde sie Brokkoli und Kartoffelpüree zum Hähnchen machen und eine große Tomate aus dem Garten aufschneiden. Da weder Walton noch Hector zum Abendessen hier waren, brauchte sie nicht das ganze Hühnchen zu kochen, trotzdem würde sie es tun, denn das Einzige, was noch besser schmeckte als Brathähnchen, war kaltes Brathähnchen. Doris und Annie Laurie könnten es am Montag zu Mittag essen.
    Da sie Walton so sehr vermisste, ging sie ins Wohnzimmer, legte Conways Greatest-Hits-Album auf und drehte die Lautstärke so weit auf, dass sie es in der Küche hören konnte. Bestimmt war es so laut, dass sie Doris, die sich für ein Nickerchen hingelegt hatte, aufwecken würde. Sie stand an der Spüle und behielt Annie Laurie im Auge, während sie die Kartoffeln schälte und gemeinsam mit Conway »Hello, darling, nice to see you, it’s been a long time« sang.

3
    Annie Laurie genoss es, sich treiben zu lassen, mit dem Himmel als Dach, dem Meer als Boden, dem Boot als Bett. Sie liebte die Art und Weise, wie sich alles bewegte, ohne dass sie etwas dafür zu tun brauchte. Sie sagte sich, dass sie nur aus Neugier alle fünf Minuten den Kopf hob, doch in Wahrheit tat sie es, weil sie doch nicht mutig genug war, das Boot einfach sich selbst zu überlassen, ohne zu wissen, in welche Richtung es getragen wurde. Auch wenn sie den Anker geworfen hatte und obwohl es höchst unwahrscheinlich war, dass das Boot aus der Meerenge hinaus, um die Landspitze herum und aufs offene Meer trieb, ohne dass sie etwas davon mitbekam, hatte sie Angst, die Strömung könnte sie erfassen, so dass sie für immer verloren wäre. Sollte sich der Anker lösen, würde sie wahrscheinlich auf einer Sandbank auflaufen, so wie letzte Woche, als sie vergessen hatte, ihn zu werfen, und über Anne auf Green Gables eingeschlafen war. Nach einer Weile war sie hochgeschreckt, von Todesangst erfüllt, ohne zu wissen, wo sie war, bis sie Schwefelgeruch wahrgenommen und jenseits des Bootsrandes das Marschgras erblickt hatte.
    Erst seit sie im letzten Jahr zwölf geworden war, dachte sie über die Gefahren der Welt nach; darüber, wie schnell ihr selbst oder jemandem, den sie liebte, etwas zustoßen konnte. Es hatte etwa letzten Sommer angefangen, als sie draußen im Bogue Sound herumgewatet war. Sie war so weit ins Wasser gegangen, dass es ihr bis unters Kinn reichte, ehe sie sich umgedreht hatte, um ihrem Vater und ihrer Oma zuzuwinken. Doch sie beachteten sie nicht, sondern redeten mit May und Walton. Die Strömung zog sie ein wenig weiter ins Tiefe, so
dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste, doch mit einem Mal reichte ihr das Wasser bis zum Mund, und ihr kam der Gedanke, wie leicht sie ertrinken könnte. Wie sie unter die Wasseroberfläche gezogen und verschwinden könnte, so dass man sie nie wieder fände. Genau das war ihrer Tante Doll und ihrem Großvater passiert.
    Sie sah wieder zum Ufer hinüber, wollte um Hilfe rufen, doch es war ihr zu peinlich. Und es machte sie wütend, dass keiner ihre Not zu bemerken schien. Obwohl sie hervorragend schwimmen konnte und wusste, dass sie lediglich die Füße anheben und anfangen musste, Arme und Beine zu bewegen, um im Handumdrehen den Strand zu erreichen, sagte ihr etwas, dass sie verloren wäre, wenn sie den Kontakt zum Boden verlöre. Also fing sie an, sich mit den Zehen in den Boden zu graben und mit den Armen Schwimmbewegungen zu machen. Zentimeter für Zentimeter arbeitete sie sich vorwärts, bis ihr das Wasser endlich nur noch bis unters Kinn reichte, dann bis zum Hals, bis zur Brust und schließlich bis zur Taille. Erst da war sie in Sicherheit, und erst jetzt bemerkten sie auch die anderen. Sie winkte und kehrte ihnen den Rücken zu, um den Booten und den Jet-Skis zuzusehen, die unweit der Stelle vorbeifuhren, an der sie gerade noch gekämpft hatte.
    Damals war ihr zum ersten Mal bewusst geworden, dass es Dinge gab, vor denen einen nicht einmal Erwachsene bewahren konnten, selbst wenn sie ständig um einen herum waren. Und sie fing an, achtzugeben, und zwar nicht nur auf jene Dinge, die ihr Angst machten. Wach gegenüber den Gefahren, die auf
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