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Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Titel: Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
Autoren: Martin Hirte
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Schaden zufügen« (»primum nil nocere«). Bei medizinischen Maßnahmen, die massenhaft angewendet werden – und bei den meisten Impfungen ist das Ziel eine mindestens 95-prozentige Erfassung der gesamten Bevölkerung –, müssen die langfristigen Wirkungen auf den Einzelnen und auf die Gemeinschaft, also die Nachhaltigkeit, besonders gut beobachtet und geprüft werden. Je weniger das geschieht, umso mehr Anlass gibt es für Zurückhaltung und Skepsis.

Die Geschichte des Impfens
    Bereits um das Jahr 1000 n. Chr. hatte man in China herausgefunden, dass man nach überstandenen Pocken immun gegen die Erkrankung war. So wurden Kleinkinder künstlich mit Pocken infiziert, um sie im späteren Leben vor erneuter Ansteckung zu schützen. Die mit dieser Methode verbundenen hohen Risiken erschienen bei der damals sehr hohen Kindersterblichkeit erträglich.
    Schriften aus dem 18. Jahrhundert belegen, dass diese Art Impfung auch in der arabischen Medizin bekannt war. Die Methode breitete sich nach Europa aus. Man ging dazu über, Pockenimpfstoff von besonders milden Pockenfällen zu isolieren, um möglichst wenig Schaden anzurichten (»Variolation«). Der Erfolg war jedoch gering, die Nebenwirkungen waren erschreckend (Buchwald 1997).
    Am 14. Mai 1796 führte in England Edward Jenner an einem Buben die erste Pockenimpfung durch, die aus dem Inhalt einer Kuhpocken-Pustel hergestellt war. Jenner hatte beobachtet, dass Menschen, die sich bei Kühen infiziert hatten, den Pocken gegenüber resistent waren. Sechs Wochen nach der Impfung des Buben infizierte er ihn mit echten Pocken – ein Versuch, der heute vor keiner Ethikkommission Bestand hätte – und hatte offensichtlich Immunität erzielt, denn der Junge erkrankte nicht.
    Die Pockenimpfung blieb zunächst umstritten, denn der Impfstoff war nicht standardisiert und hatte nur eine geringe Schutzwirkung (erst der im 20. Jahrhundert eingeführte gefriergetrocknete Impfstoff zeigte bessere Impferfolge). Da die Pockenerkrankung jedoch weiterhin grassierte und Zigtausende von Menschenleben forderte, wurde ab Anfang des 19. Jahrhunderts in den westlichen Ländern nach und nach die Pockenimpfung eingeführt. Am 8. April 1874 erklärte die deutsche Regierung durch das Reichsimpfgesetz die Pockenschutzimpfung mit Kälberlymphe zur Pflichtimpfung. Gleichzeitig wurde die Entschädigung für Bürger garantiert, die durch die Impfung gesundheitlich beeinträchtigt wurden. Bei vielen Impflingen verursachte sie nämlich schwere Nebenwirkungen, vor allem die gefürchtete Impfenzephalitis mit Todesfolge oder schwerer körperlicher und geistiger Behinderung. Auch Jenners Sohn, der im Alter von zehn Monaten geimpft worden war, wurde nach der Impfung geistig behindert und starb mit 21 Jahren – eine Tragödie, derentwegen Jenner am Ende seines Lebens »von Zweifeln geplagt« gewesen sein soll (Buchwald 1997).
    Ende des 19. Jahrhunderts wurde aufgrund der Arbeiten von Louis Pasteur (1822–1895), der Mikroben als Ursache von Krankheiten identifiziert hatte, die Entwicklung von Impfstoffen vorangetrieben. Er hatte unter anderem die Erreger der Geflügelcholera untersucht und dabei entdeckt, dass Erreger, die mehrere Wochen im Labor »vergessen« worden waren, abgeschwächt waren und nicht mehr krank machten. Die damit infizierten Hühner waren im Gegenteil vor einer späteren Choleraerkrankung geschützt. Pasteur entwickelte immunologische Modelle zur Funktion von Impfungen und erste Verfahren zur Impfstoffherstellung. Er schuf auch in Anlehnung an die Kuhpocken den Begriff »Vakzination« (vom lateinischen Wort für »Kuh«,
vacca
) für die Impfung mit lebenden oder toten Erregern. Das deutsche Wort »impfen« stammt eigentlich aus dem Gartenbau und leitet sich vom lateinischen
imputare
und griechischen
emphyteúein
ab, was »einpflanzen, pfropfen« bedeutet.
    Die zunächst entwickelten Impfstoffe waren gegen die großen »Seuchen« gerichtet: Pocken (1798), Tollwut (1885), Pest (1897), Diphtherie (1925), Tuberkulose (1927), Wundstarrkrampf (1927) und Gelbfieber (1937). Bereits 1926 gab es auch erste Versuche mit einer Keuchhustenimpfung. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten aufgrund der wissenschaftlichen Fortschritte weitere Impfstoffe, nun auch gegen Viruserkrankungen, entwickelt werden: Kinderlähmung (Totimpfstoff 1955, Lebendimpfstoff 1962), Masern (1964), Mumps (1967), Röteln (1970) und Hepatitis B (1981).
    Die ersten Impfstoffe waren nach heutigen Kriterien schlecht
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