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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Robert Harris
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voranschritt, wurde immer klarer, dass der Oberbefehlshaber der Stimmeneinkäufer sein Ziel knapp verfehlen würde. Fest zu Cicero hatten immer der Ritterstand, die Pompeianer und die unteren Schichten gestanden. Mit den aristokratisch kontrollierten Stimmenblöcken, die Hortensius, Catulus, Metellus, Isauricus und die Lucullus-Brüder beisteuerten, bekam er von jeder Zenturie, ob als erste oder zweite Präferenz, eine Stimme. Schon bald ging es nur noch darum, wer Ciceros Amtskollege werden würde. Am Vormittag sprach noch alles für Catilina. Meinen Notizen zufolge (die ich erst gestern wiedergefunden habe) lautete der Zwischenstand um zwölf Uhr mittags folgendermaßen:
     
    Cicero 81 Zenturien
    Catilina 34 Zenturien
    Hybrida 29 Zenturien
    Sacerdos 9 Zenturien
    Longinus 5 Zenturien
    Cornificius 2 Zenturien
     
    Doch dann stimmten die sex suffragia ab, die sechs Zenturien die sich ausschließlich aus Aristokraten zusammensetzten . Sie rammten Catilina endgültig das Messer in den Leib. Wenn mir ein Bild von diesem denkwürdigen Tag immer im Gedächtnis bleiben wird, dann ist es das der Patrizier, wie sie nach der Stimmabgabe an den Kandidaten vorbeigingen. Da das Marsfeld außerhalb der Stadtgrenzen lag, konnte niemand Lucius Lucullus und Quintus Metellus, die beide ihre scharlachroten Umhänge und Rüstungen trugen, daran hindern, ihre Stimme abzugeben. Ihr Auftritt erregte großes Aufsehen, das allerdings noch übertreffen wurde durch die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses ihrer Zenturie - Erster Cicero, Zweiter Hybrida. Dann kamen Isauricus, Curio der Altere, Aemilius Alba, Claudius Pulcherjunius Servilius (der Ehemann von Catos Schwester Servilia), der alte und kranke Pontifex maximus Metellus Pius (der in einer Sänfte getragen wurde), dessen Adoptivsohn Scipio Nasica … Und jedes Mal war das Ergebnis das gleiche: Cicero Erster, Hybrida Zweiter; Cicero Erster, Hybrida Zweiter; Cicero Erster … Als schließlich Hortensius und Catulus an den Kandidaten vorbeischritten, konnte jeder sehen, dass es keiner der beiden Männer über sich brachte, Catilina in die Augen zu schauen. Und als bekannt gegeben worden war, dass auch deren Zenturie für Cicero und Hybrida gestimmt hatte, musste Catilina bewusst gewesen sein, dass er keine Chance mehr hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Cicero die Stimmen von siebenundachtzig Zenturien, Hybrida von fünfunddreißig und Catilina von vierunddreißig - zum ersten Mal an diesem Tag hatte sich Hybrida an seinem Mitkandidaten vorbeigeschoben. Was aber noch wichtiger war: Die Aristokraten hatten sich offen gegen einen der ihren gestellt, und das mit schonungsloser Brutalität. Danach war Catilinas Kandidatur praktisch gestorben. Allerdings muss man ihm zugutehalten, dass er die Niederlage tadellos hinnahm. Ich hatte erwartet, dass er sich wutentbrannt entfernen oder Cicero an die Kehle gehen würde, um ihn eigenhändig umzubringen. Stattdessen ertrug er den langen, heißen Tag, die Prozession der an ihm vorüberziehenden Bürger und die mit der untergehenden Sonne immer mehr schwindenden Hoffnungen auf das Konsulat mit unerschütterlicher Gelassenheit, die er sogar dann noch zur Schau trug, als Figulus zum letzten Mal vortrat und das Endergebnis der Wahl verkündete:
     
    Cicero 193 Zenturien
    Hybrida 102 Zenturien
    Catilina 65 Zenturien
    Sacerdos 12 Zenturien
    Longinus 9 Zenturien
    Cornificius 5 Zenturien
     
    Wir jubelten, bis uns der Hals wehtat. Cicero selbst machte einen völlig geistesabwesenden Eindruck. Das machte mich nervös. Hatte er nicht gerade sein Lebensziel erreicht? Von jetzt an trug er permanent das zur Schau, was ich später sein »Konsulgesicht« nannte: das Kinn leicht angehoben, der Mund ein entschlossener Strich, den Blick scheinbar auf ein weit entferntes, glorreiches Ziel gerichtet. Hybrida streckte Catilina die Hand hin, die dieser jedoch ignorierte. Stattdessen stieg er wie in Trance vom Podium herunter. Er war ruiniert, bankrott - höchstens noch ein oder zwei Jahre, dann würden sie ihn auch aus dem Senat werfen. Ich schaute mich nach Crassus und Caesar um. Nichts. Wahrscheinlich waren sie schon vor Stunden gegangen, als Cicero die für den Sieg erforderliche Anzahl an Zenturien beisammengehabt hatte. Ebenso die Aristokraten, die in der gleichen Sekunde nach Hause gegangen waren, als sie Catilina sicher aus dem Weg geräumt wussten. Wie Männer, die gezwungenermaßen eine unangenehme Pflicht zu erfüllen hatten - zum Beispiel den tollwütigen
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