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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben
Autoren: Rob Alef
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aus.
    Grellert stieg in seinen Bus, stellte die digitale Anzeige für die Endstation auf Weiße Berge ein und fuhr hinüber zum großen Tor der Treptower Halde. Er reihte sich ein in die lange Schlange der Laster, passierte das Tor und fuhr über die Piste, die quer durch die Halde führte, bis er auf Höhe der Weißen Berge war. Er parkte den Bus, stieg aus und kletterte den steilen Trampelpfad nach oben. Als er am Fuß des Gebirges stand, holte er seine Taschenlampe heraus. Eine Sonnenbrille würde er heute nicht brauchen, solide Wolkendecke. Er zog sich Arbeitshandschuhe an und kletterte ins Gebirge. Herd um Herd, Trockner um Trockner ließ er hinter sich, bis er ganz oben war.
    Da war die Waschmaschine mit der offenen Luke. Er kroch näher und hielt die Stabtaschenlampe in die Öffnung. Die Gaukler hatten zwei Jungtiere, die Grellert von der Rückwand der Wäschetrommel aus mit großen Augen ansahen. Der Strahl der Taschenlampe leuchtete über Aasreste und kleine Äste und Zweige. Kein besonders wohnliches Nest, aber in Afrika brüteten die Gaukler sogar in Termitenhügeln, wenn sie hoch genug waren. Und da war die Kontaktlinse. Sie leuchtete auf, als sie der Strahl der Taschenlampe traf und klebte an einer Querstrebe der Wäschetrommel, wo sich früher Socken verfangen hatten. Glücklicherweise hackten die Jungvögel nicht nach ihm, als er in die Trommel griff und die Kontaktlinse sicherte. Die Alttiere konnten jederzeit von ihrem Beutezug zurückkehren. Er wollte ungern von den rasiermesserscharfen Fängen aufgespießt werden. Sorgsam legte er die Kontaktlinse in sein Portemonnaie und kletterte langsam nach unten. Im Bus änderte er den Fahrzielanzeiger. Die nächste Endhaltestelle lautete Polizeipräsidium.
    Stiesel telefonierte gerade mit einem Kieferorthopäden aus Traunstein, der sich verzweifelt daran zu erinnern versuchte, wer vor zwölf Jahren der Maskenbildner gewesen war, als sie auf dem Studenten-Theaterfestival das
Käthchen von Heilbronn
aufgeführt hatten.
    »Ich glaube, jeder ein bisschen und alle zusammen haben einander geschminkt«, sagte er schließlich. »Einen Maskenbildner in dem Sinne hatten wir nicht.«
    »Waren Sie seitdem wieder mal hier?«, fragte Stiesel.
    »Leider nein«, sagte der Mann. »Nächstes Jahr vielleicht, zum siebten Hochzeitstag vielleicht. Das verflixte siebte Jahr, Sie verstehen.«
    Stiesel verstand und strich das Münchner Ensemble von der Liste.
    Sein Computer gab ein Ping von sich. Er klickte auf seinen Eingangsordner. Die Liste mit den Sachbeschädigungen vom 22. bis 24. Juni 2001, die Zabriskie eingetrieben hatte, war eingetroffen. Sehr schön. Stiesel druckte sich die Liste aus und ging damit zur Karte. Darauf markiert waren der Pub am Hackeschen Markt, der Fundort der Leiche von Melanie Schwarz auf dem unbebauten Grundstück in Moabit, die heutige UdK (damals HdK) und der Teufelssee.
    Er prüfte die Liste der Zwischenfälle, die nach Uhrzeiten geordnet war. Kurz vor Mitternacht am 23. Juni wurde er fündig. Jemand war bei einem Autohändler an der Oranienburger Straße eingestiegen und hatte von einem historisch wertvollen Mercedes den Stern abgebrochen. Vielleicht war das die Tatwaffe gewesen.
Dünner als ein Schlagring und gekrümmt
, stand im Obduktionsbericht zu Melanie Schwarz, den er in den letzten Tagen verinnerlicht hatte.
    Stiesel trat zurück zum Rechner und rief sich die Details des Vorgangs auf. Geschädigter war ein Mann aus Hamburg, der in die Stadt gekommen war, um die kostbare Antiquität nach Hause zu holen. Die Anzeige hatte der Autohändler erstattet, ein Vincent Sherman. Der Laden hieß Vincent’s Vintage Cars.
    Stiesel suchte die Telefonnummer im Netz, fand aber nur Victor’s Vintage Cars am Spandauer Damm. Das Grundstück in der Oranienburger Straße war wohl schon längst bebaut. Dann entdeckte er aber noch eine Privatnummer in Rudow.
Sherman, Vincent
. Stiesel ließ es lange läuten, dann meldete sich die Stimme eines alten Mannes.
    »Vincent Sherman?«, fragte Stiesel.
    »Am Apparat«, sagte der.
    »Stiesel, Kriminalpolizei. Herr Sherman, wir ermitteln in einem Mordfall im Jahr 2001. Bei Ihnen wurde am 23. Juni dieses Jahres ein Mercedesstern abgebrochen.«
    Für einen Moment war es still in der Leitung. Dann sagte Sherman: »Ich erinnere mich genau. Der Wagen war unfallfrei, wir verkaufen nur unfallfreie Fahrzeuge. Aber der Stern hatte eine Unregelmäßigkeit, wohl schon ab Werk. Die Macke am Stern hat der Kunde sofort gesehen und
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