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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben
Autoren: Rob Alef
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Perfekt, um jemanden zu erwürgen. Ich frage mich, ob der Anteil von Menschen, die andere erwürgen, unter Fahrradbesitzern größer ist als bei der Gesamtbevölkerung. Mit solchen Handschuhen kann man auf dumme Gedanken kommen. Diese Verena stieg aus dem Bus und ging den von mir empfohlenen Weg von der Bushaltestelle Richtung Fluss. Dort begrüßte ich sie. Sie hatte mich erkannt, als ich in den Bus 104 einstieg. An dem Tag, an dem mir das Fahrrad gestohlen wurde. Weil ich den gleichen Satz gesagt hatte wie vor zwölf Jahren. Mit meinem Akzent, den Maeve so sexy fand. Sexy für eine Nacht.
    »Wenn Sie hier Bustickets verkaufen, müssen Sie sich um Wechselgeld selbst kümmern«, sagte ich, als ich in den Bus stieg und der Fahrer fünfzig Euro nicht wechseln konnte. Ich hatte schlechte Laune, weil mein Fahrrad weg war, und außerdem hatte ich recht. Hatte ich den gleichen Satz wirklich vor zwölf Jahren zu einem Bierverkäufer im Hof der HdK gesagt?
    Als ich aus dem Bus stieg, völlig aufgewühlt vom Verlust meines Fahrrads, folgte mir diese Verena. Wie ein Schatten schlich sie mir nach bis zur Czeminskistraße. Sie spähte durch die Glasscheibe – so ein Neubau mit einer Glasfassade – und merkte sich den Briefkasten, dritter von rechts, aus dem ich den Werbemüll entfernte. Das ist der einzige Nachteil, wenn man inkognito wohnt. Man kriegt nie Post und muss immer den Werbemüll wegwerfen. Das erzählte sie mir alles in einem verschwörerisch-aufgekratzten Tonfall, als wir auf Stralau von der Bushaltestelle Richtung Friedhof spazierten. Als würde sie mit mir ihr süßestes Geheimnis teilen. Als würde sie mir anvertrauen, dass sie Katzenbabys mochte und Prosecco.
    Einen Tag, nachdem sie mich im Bus gesehen hatte, rief sie bei mir an und erpresste mich. Und ich sagte:
Wir müssen uns unbedingt sehen
, als sei sie eine wiederentdeckte Jugendliebe von mir. Stralau war meine Idee.
Ich wohne auf Stralau
. Hat ja auch gestimmt für sechs Jahre. Wir liefen Seite an Seite, und ich nickte und sagte dauernd
Aha
. Ich konnte ihr ja schlecht sagen:
Gleich bist du tot
. Das hätte mir den Vorteil der Überraschung genommen.
    Sie fragte: »Wieso gehen wir nicht auf der Straße?«
    Und ich sagte: »Da wird gebaut. Wir wollen doch nicht, dass dein schönes blaues Kostüm ganz dreckig wird.«
    »Ich habe mich ein wenig über dich erkundigt«, sagte sie. »Du bist wirklich gut vernetzt. Eine Empfehlung pro Monat möchte ich von dir, als Gegenleistung dafür, dass ich mich an nichts erinnere.«
    Ich stellte mich dumm. »Eine Empfehlung?«
    Sie nickte eifrig und lächelte in sich hinein. »Ja, einen Kontakt pro Monat zu jemandem, der eine Wohnung sucht, am besten jemand, der kaufen möchte. Das tut dir nicht weh. Ich habe wirklich einige schöne Objekte an der Hand, vor allem gut geschnittene Altbauwohnungen zum Kauf. Und du kennst so viele Leute, die etwas Exklusives suchen.«
    Du hast keine Ahnung, was mir weh tut und wen ich kenne
, dachte ich.
Und du wirst es nie erfahren. My network is my castle
. »Warum bist du denn damals nicht zur Polizei gegangen?«, fragte ich.
    Diesmal lächelte sie nicht den Boden, sondern mich an. »Ich war mir ziemlich sicher, dass du es zu etwas bringst«, sagte sie. »Was hätte ich davon gehabt, wenn du ins Gefängnis kommst?«
    Schließlich erreichten wir den kurzen Abschnitt des Weges, der blickdicht war.
    »Ach, du bist mit dem Fahrrad hier«, sagte sie noch, als sie die Handschuhe sah.
    »Das nun gerade nicht«, sagte ich. Dann drückte ich zu. Fest und entschlossen, mit einer Hand. Es ging völlig reibungslos. Nicht so schnell wie bei Maeve, aber immer noch schnell genug. Ich schleppte sie auf den Friedhof. Sie war nicht besonders schwer, hatte immer brav trainiert ein Leben lang. Wir wollen alle gesund sterben. Erst als sie da auf den Steinen lag, merkte ich, das sie sich die Haare gefärbt hatte. Beinahe wäre ich wütend geworden. Das war gegen die Abmachung, dann wurde mir klar, das war ja eine Abmachung, die ich mit mir selbst getroffen hatte. Sie hatte ja gar nicht gewusst, dass ich sie schminken wollte. Das Schminken dauerte keine fünf Minuten, ich hatte nichts verlernt. Es tat gut, nach all den Jahren wieder einen weichen Pinsel in der Hand zu haben.
    Wahrscheinlich habe ich sie auch deshalb geschminkt, weil sie mir leid tat. Ihre Bedürftigkeit hatte etwas Rührendes. Und da ist es wieder, dieses verdammte Mitleid mit der gepeinigten Kreatur. Meine Schwäche für Schwächlinge. Diese
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