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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts
Autoren: Katarina Fischer
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das wusste ich nur zu gut. Und ich dachte immer, das wäre der schwierige Teil. Aber ich musste erkennen, dass es im Laufe der Zeit immer härter wurde. Dass man irgendwann auch mal kämpfen musste, einstecken oder austeilen, zurücktreten oder fordern – davon hatte ich keine Ahnung gehabt. Jetzt wusste ich es besser.
    Der Van hielt im Bereich für Kurzparker vor dem Flughafen. Wir stiegen alle aus und umarmten einander. Das war also das Ende der Reise. Ich spürte einen Stich des Bedauerns, dann machte sich Traurigkeit in mir breit. Es war trotz allem ein unvergesslicher Urlaub gewesen. Nicht im Entferntesten das, was ich mir vorgestellt hatte, aber zur Hölle mit meinen blöden Vorstellungen. Wahrscheinlich war diese Reise gerade deswegen so besonders, weil wir uns immer wieder in Situationen wiederfanden, die ich mir niemals so vorgestellt hätte.
    Wer wusste schon, wann und ob es noch einmal so eine Zeit geben würde?
    »Machen wir nächstes Jahr wieder, nä, Schätzelein!«, verkündete Betty und drückte mir einen dicken Kuss auf den Mund.
    Damit war diese Sorge also aus der Welt.
    Ich zog sie an mich und umarmte sie. »Danke.«
    »Schnickschnack. Ich liebe dich«, flüsterte sie.
    »Ich dich auch.«
    Marco klopfte mir noch ein letztes Mal mit voller Wucht auf den Rücken. »Also dann!«
    Mir wurde bewusst, dass ich ihn, im Gegensatz zu den anderen, die mir bald nach Hamburg folgen würden, so schnell nicht wiedersehen würde. »Du wirst mir so fehlen!« Ich warf mich ihm mit meinem ganzen Gewicht an den Hals und drückte ihn, bis er es schaffte, sich aus meiner Umarmung herauszuwinden. »Jetzt mach mal halblang, Mädsche. Ich hab einen Van. Ich bin frei. Ich komm euch im Herbst besuchen. Kein Grund, jetzt zu flennen.«
    Ich tat es aber trotzdem.
    »Ihr verpasst euren Flug«, erinnerte uns Betty und zuckte gleichgültig mit der Schulter. »Also von mir aus könnt ihr ruhig, aber ihr wollt das ja nicht, von daher …«
    Zittrig und komplett überwältigt von meinen Abschiedsemotionen wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und wollte meinen Koffer vom Boden aufheben, aber Richard war mir schon zuvorgekommen und bereits zwei Schritte weiter auf das Flughafengebäude zugegangen, wo er stehen geblieben war und auf mich wartete. Ich lief ihm hinterher, drehte mich im Laufen noch einmal um, warf den drei winkenden Menschen vor dem braunbeigefarbenen Van eine Reihe von Luftküssen zu und stolperte dabei fast über eine Bordsteinkante, die ich übersehen hatte. Ein überraschter, kleiner Schrei entfuhr mir.
    Richard schaffte es gerade noch mit seiner freien Hand, nach meinem Arm zu greifen und einen Sturz zu verhindern. »Du musst besser aufpassen, wohin du gehst«, sagte er sanft, und seine Hand wanderte meinen Arm hinab zu meiner und hielt sie fest. Und während ich noch mit meiner Verwirrung kämpfte, mich fragte, was das um alles in der Welt zu bedeuten hatte, dass Richard plötzlich mit mir Händchen halten wollte, traten wir durch die Türen des Terminals und wurden eins mit den Touristenmassen. Aber auch dann ließ er mich nicht los. Es war das schönste Händchenhalten seit Monaten.
    Unsere vorübergehende Verbindung aus Fingern und Handflächen hielt selbstverständlich nicht ewig. Spätestens beim Security-Check hätten wir uns trennen müssen, aber es passierte schon früher: Richard musste mal. Er ließ mich allein vor einem tristen Flughafenbistro sitzen, in dem es Sandwiches für neun Euro gab. Obwohl in dem Flughafengebäude dieselbe Temperatur herrschte wie draußen vor der Tür, fröstelte ich ein wenig. Vermutlich die Anspannung. Ich spürte Richards Hand noch in meiner. Wie eine Postkarte aus einer besseren Zeit. Wie ein Seufzer, warm und weich. Ich hätte ewig Hand in Hand mit ihm weitergehen können, aber jetzt hatte er mich losgelassen, und ich war seltsam traurig.
    »Hier!« Jemand hielt mir ein kleines Paket vor die Nase. Glänzende Alufolie. Ich sah eine haarige Hand, die das Päckchen hielt, mein Blick wanderte einen braun gebrannten Arm hinauf, dann begann der Ärmel eines gestreiften Hemdes, ein steifer Kragen, ein kurzer Hals, Bartstoppeln, Schnauzbart, ein rundes Gesicht. Der höfliche Türke.
    »Hallo? Hier!« Er wedelte mit der Alufolie vor meinem Gesicht herum, als müsse er mich aus einer Trance erwecken. Was ja im Grunde auch der Fall war. »Besser als Neun-Euro-Sandwich. Sogar umsonst.«
    »Was machen Sie hier?«, fragte ich ihn verwirrt und griff nach dem Päckchen.
    Nicht
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